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jurij m. lotman (R.I.P.)
die grenzen des textes sind die grenzen der welt

 
... dankenswert konzentriert bei live.hackr, was ja überhaupt ein mustread-blog ist, auch im scribbleblog-kontext. dort verlinkt zwei sinnvolle deutsche beiträge, hier vorgemerkt zur weiterverarbeitung:

don alphonso räsonniert über Web 2.0 als neuauflage des dot.com-rinderwahnsinns. und er hat recht und unrecht zugleich. mario sixtus bestraft mit vollem recht die underground-geekigen "is ja alles scheiss-kommerz, buzzwords, warme luft"-dumpfbacken.
jurijmlotman meinte am 21. Nov, 20:54:
don-alphonso-rant-mashup ...
aus dem kommentar-thread: "In der Konsequenz, denke ich, muss man einräumen, dass manche Kultur wie mein Blog früher weniger sozial und manches Sozialsystem wie Trackback nicht allzu kulturell ist. Dass ein Ameisenhaufen bei perfekter sozialer Struktur kulturell nicht auf unserer Stufe steht, ist eigentlich kein Geheimnis.Ich sage also nicht, dass die Apologeten von Web 2.0 kulturlose Volltrottel sind, ich sage, dass ihnen bei der Integration von Blogs in das Web 2.0 die Einsicht in die kulturellen Leistungen, neudeutsch von mir aus Content, abgeht. Meines Erachtens jedenfalls ist der Paradigmenwechsel durch Blogs nicht in der Software oder Funktionen wie RSS oder Trackbacks begründet, sondern vor allem durch den Willen der Autoren, sich auszudrücken. Was zuerst eine kulturelle und erst in der Folge eine soziale Leistung ist. Beispiel: Wenn ich für mich allein blogge und keine Kommentare zulasse, bleibt von “social” nichts übrig. Das ist der Punkt, wo sich die Gewichtung der Web 2.0 Vertreter wegentwickelt von dem, was Bloggen für viele ist - eben keine omnipräsente Egosphäre mit einem Maximum an Social Software Schnittstellen, sondern ein privates Lagerfeuer, an dem jemand eine Geschichte erzählt. Das ist Bloggen übrigens für mich. Und wer das übersieht und meint, alle meine Geschichten taggen zu müssen, per del.ici.ous seinen Freunden verfügbar machen und mir dadurch social networking Partner zuführen will, die mir via Trackback reinquasseln - der ist mit seiner Social Software nun mal drüber über den Riss hinter meinem soziokulturellen Lagerfeuer.Und all die neuen Ideen führen ja von Bloggen weg, marginalisieren es, machen die Tür von aussen zu, und das ist prima. Ich freue mich auf Web 2.0, weil es für eine Entflechtung sorgen wird.Na dann will ich den Lesern hier auch networkmässig nicht die neueste Web2.0slimenetwork-App mit Bierextension eines freischaffenden Journalisten mit Hype2.0 Schwerpunkt an das Handelsblatt vorenthalten: Sixtus mal wieder in schwülstig-web2.0esoterischer Hochform. Dass ausgerechnet so jemand, der zu feige zum Hierherlinken ist, von social Software spricht… Wir wäre es mal mit einer Nachhilfestunde Meinungsfreiheit? Mit anonym agierenden Feiglingen wie Dir wird das sicher ein lustiges Web 2.0. 
jurijmlotman antwortete am 21. Nov, 21:06:
interessant ist ...
... diese fundamentalistische opposition von "kultur" (der text an sich und für sich, für don die quintessenz des bloggens) und "social networking", das hier bereits als vorstufe von seelenlosen buzz-getriebenen geldscheißenden diskurshäckslern gilt (für don das "Web 2.0"). überhaupt nicht unsympathisch, aber jedenfalls dann vollkommen falsch, wenn es nicht nur um "solipsistische kultur" vs. "soziales drauflostexten" geht, sondern um die wertkonservative verdammung von RSS, Trackback und ähnlichem teufelswerk. aber vielleicht stimmt ja, was mir ein jüngerer (wenn auch nicht junger) freund kürzlich auf den kopf zu sagte: die zeit des postmodernen alles-ist-zeichen-relativismus ist vorbei. die nachwachsenden sind, philosophisch gesehen, wieder realisten. vermutlich, gerade weil alles um sie herum medienzeichen-explosion ist: und es ist ja tatsächlich fad, darauf noch irgendwie hinzuweisen. weiß ja eh jeder, seit John DeMol Baudrillard beherzt für das TV-proletariat popularisiert hat. 
agrypnia meinte am 22. Nov, 13:24:
Zum Thema popularisierter Baudrillard:
Der gestrige New Yorker hat eine Story zur jüngsten Baudrillard-Lesungs-Tournee
[ http://www.newyorker.com/talk/content/articles/051128ta_talk_macfarquhar ],
wo B. einmal mehr Kunst mit Pop und Pop mit allem anderen fleißigst verwechselt. Im Anschluss an Deinen Kommentar: wem macht sowas noch ernsthaft Spaß?

Gut hingegen:
Auszug (bei anderen würde das wohl unter "nachgetragene Liebe" laufen*:)
A middle-aged man in the second row who had been snapping photographs of Baudrillard with a tiny camera raised his hand.

“I don’t know how to ask this question, because it’s so multifaceted,” he said. “You’re Baudrillard, and you were able to fill a room. And what I want to know is: when someone dies, we read an obituary—like Derrida died last year, and is a great loss for all of us. What would you like to be said about you? In other words, who are you? I would like to know how old you are, if you’re married and if you have kids, and since you’ve spent a great deal of time writing a great many books, some of which I could not get through, is there something you want to say that can be summed up?”

“What I am, I don’t know,” Baudrillard said, with a Gallic twinkle in his eye. “I am the simulacrum of myself.”

The audience giggled.
* N.B.: "nachgetragen" hier nicht dem zum Abwinken witzigen und abgründigen Kontinentalscholastiker gallischer Provenienz, sondern dem middle-aged man aus der zweiten Reihe.

P.S. (2005-11-27): nicht-simulierte Senilität und kein Ende:
http://tinyurl.com/cvnx3 
jurijmlotman meinte am 23. Nov, 13:11:
ja,
... genau.

fußnote: vielleicht sollte ich in dem zusammenhang der historie zuliebe darauf hinweisen, dass (a) ich selbst seinerzeit baudrillard immer gezielt nicht gelesen habe, weil mir der baudrillardismus sozuasgen im voraus instinktiv auf die nerven ging. d.h. aber auch, dass die welten-aus-zeichen anschauung sich eben nicht reduzieren lässt auf diese wirklich abgestandene, immer zu ungenaue und immer schon primär auf intellektuellen distinktionsgewinn abzielende "postmoderne". manchmal habe ich das gefühl, dass von der damals sehr breiten und ernsthaften erkenntnis-bewegung nur noch zugespitze comic-strip-positionen übrig geblieben sind; (b) dass ich baudrillard, als ich nach 2000 erstmals konzentriert einen längeren text genau gelesen habe, gar nicht so schlecht fand, wie ich selbst befürchtet hatte - da waren immer punkte dabei, die man brauchen konnte (wenn eben auch nie sorgfältig ausgeführt und trennscharf vom verwaschen-polemischen baudrillardismus getrennt). 
morpheus82 meinte am 24. Nov, 09:35:
Googlopia
Vielleicht sieht das Web 2.0 ja wie Googlopia aus? 
        

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