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jurij m. lotman (R.I.P.)
die grenzen des textes sind die grenzen der welt

 

goetzblog

"Aber natürlich wird gerade auch der, der Realität besonders triftig abgelauschte Erfahrungsgestus, zu schriftlicher Sprache festgefroren, blitzschnell das Klischee seiner selbst, also unbrauchbar für Literatur. Realismus ist ein aggressiv gegen sich selbst gerichtetes, sich selbst verbrauchendes und zerstörendes ästhetisches Konzept. Und auch darin könnte man die Bestätigung einer realistischen Ästhetik sehen, dass Selbstzerstörung der Praxis des Lebens entspricht, das sich selbst lebendig, als Experiment versteht, ohne es sich im Fragmentaristischen, im Provisorium gemütlich zu machen, gerade im Ausgriff auf ein Ganzes von Geschichte. Selbstzerstörung: das war richtig, steht dadurch als richtig fest, ist dadurch unwiederholbar, heißt dadurch: wie geht es weiter? Keine Ahnung."

"Schreiben im Netz: wunderbar, Schreiben für die Zeitschrift, für den Druck: es ging nicht. Der Gedanke an den Leser, den ein Zeit-schriftenartikel doch auf eine irgendwie vernünftige Weise ansprechen muss, machte mich sofort verrückt, verwirrt und unendlich elend und matt. Noch mehr der Zeitdruck: Artikel muss in zwei Stunden fertig sein. In zwei Stunden schreibe ich normalerweise zwei Zeilen, jetzt sind aber plötzlich 40 gefragt. Internet und Literatur hingegen sind Verwandte für mich, weil sie beide so niedrige Nichtpodeste sind, die Niedrigkeit und Bodennähe, von der aus da gesprochen wird, immer leise, auch wenn das Gesagte heftig gedacht und gemeint sein kann, geben eine Bewegungsfreiheit im Sprachlichen und Weltanalytischen vor, die einen Radikal-individualismus, für bestimmte Schreibernaturelle ideal, ermöglichen und so den genau darauf spezialisierten Text auf optimale Art zulassen."

was in der Echtwelt stimmt und deshalb trifft, explodiert im Text zur Überwahrheit, regnet auf das Ganze eines Textes als herrlich flirrender Echtwelt-staub hernieder.

"Die Klugheit des Handelns wird nämlich durch innenlebenfreie Existenzweise erst ermöglicht."

(#) "Das bunte Rad des Todes drehte sich über dem klage.leer.doc-Pictogramm, das Word-Programm wurde gestartet, die Datei sprang auf, und die weiße leere Seite, die auf taubenblauem Grund abgebildet war, füllte sich von beiden Seiten, von oben und unten gleichzeitig, mit dem hier erscheinenden Text. Oben das Richtige, unten das Verworfene, und in der Mitte dazwischen der ruhig pulsierende Strich des Cursers, wo die gerade neu getippten Worte aus dem Nichts auftauchten. Leise raschelte dabei die Tastatur. Vor zwei Jahren ... Ich hatte mir ein Telefonverbot auferlegt, um innerlich besser zur Ruhe zu kommen. Mit Briefen versuchte ich mich in der Welt meiner Bezüge zu halten. Ich schrieb den Text der Niederschrift mit der Hand in große orangefarbene Hefte von Brunnen, anfangs zuversichtlich, aber bald war doch auch hier wieder unabweisbar die Bilanz: es wird auch diesmal nichts."

vgl. skywriting, neuer aggregatzustand der texte und wie da schreiben geht, schreiben denken als erstellen einer kettenreaktion von aussage-ereignissen.

(#) "Plausibilisierung der individuellen Abweichung: Kunst
Erfassung einzelner Partikel von Weltkomplexität: Wissenschaft
Reaffirmierung der Teilhabe am Kollektiven: Unterhaltung
Welcher Satz wird gebraucht: Journalismus
Welcher Satz bin ich: Literatur" ...

wobei bei mir leider "Erfassung einzelner Partikel von Weltkomplexität" plus einem anteil "plausibilisierte individuelle Abweichung" herauskommt. was leider nirgends so richtig hilft.


(gut auch der rest über alltagssprache u.a.)

(#)
"you tube, my space, facebook
flickr, twitter, blogcharts
my style, your style, word.up.com

Man nimmt daran teil, um von der Veränderung erfasst zu werden, ohne sie verstehen oder erkennen zu können, um also praktisch zu ermitteln, was die semantischen Neubedingungen für einen selber und die eigene, speziell genau auf diese Aktualitätsfragen ausgerichtete Sicht auf das Schreiben bedeuten würden. Man nimmt am Gegenteil teil, setzt sich dem Widerspruch zur eigenen Idee von Autonomie und Antiidiosynkrasie aus, arbeitet sich durch die groteskesten Negationsdelirien gegen den direkt neben einem im abstrakten Blograum auch produzierten Kapitalschwachsinn hindurch, um – ja, es kickt, der Hass macht Spaß, das Nein, auch wenn es unaussprechlich bleibt, aus Höflichkeit, aus Rücksicht, bleibt doch der heftigste Motor für die Suche nach der, immer wieder im Unzugänglichen verlorenen Richtigkeit von Produktion: das große schöne NEIN des kleinen dicken Manns ADORNO."

sehr schöner mini-essay. ausgehend von billers ESRA, endet mit der preisung der juristischen sprache als epische bewältigung wirrer wirklichkeit.

"Ich war in diesen Jahren nach 2001 durch Probleme meines eigenen Schreibens in ein größeres REALITÄTS-CHECK-Projekt geraten und hatte zunächst mit Politik und Geschichte angefangen. Geschichte wurde an der Universität gelehrt, frühe Neuzeit von Heinz Schilling. Und die Politik wurde damals von Gerhard Schröder vorgeführt, die Macht des Körpers und seiner Sprache im Raum.

So ging ich in den Bundestag zu den Debatten, ins Kanzleramt zu den Pressekonferenzen, und schaute mir die reale Wirklichkeit des politischen Betriebs und der Berichterstattung darüber an, das Ganze also des politisch-journalistischen Komplexes.

Ergebnis: in echt ist alles etwa tausend mal interessanter und komplizierter, als in der medial vermittelten Darstellung davon erkennbar wird. Was folgt daraus? Eigentlich nichts, objektiv gesehen. Für mich aber: weitermachen mit der Wirklichkeit, auch wenn vorerst kein direkt brauchbarer Text dabei entsteht." ...

"Von der LEKTÜRE von Esra war ich gleich ganz begeistert. Das ist genau so einfach und klar dahererzählt, wie jeder bisschen kompliziertere Mensch gerne schreiben würde. Die Sprache, die Szenen, die Bilder, man folgt und liest, lebt mit und denkt nach, und die Nichtbanalität wäre in die Stimmungen ausgelagert, in Brüche, in Untertöne von Melancholie, auch Irrsinn des Geschehens, und das Bild des Ganzen würde so verworren gleichzeitig und einleuchtend erscheinen, wie man es aus der wirklichen Realität des eigenen Lebens nur zu gut kennt. Und Bücher sind sehr selten so. Esra aber war so.

Obwohl ich das Buch so toll fand, war ich der Meinung, dass Maxim Biller damit IRRT. Sein Weltbild ist falsch. Seine Sicht auf das Leben ist fundamentalistischer, essenzialistischer Unsinn, sein Blick auf die anderen Menschen grotesk egoman, und seine Vorstellungen von Liebe und zuletzt auch von der Kunst sind für mich forciert banaler Kitsch.

Aber, bitte: wenn man auf der Basis von so vielen falschen Ideen so gute Bücher wie Esra schreiben kann, was sollte da noch falsch an falschen Ideen sein? Vielleicht ja doch nur ihre Kritik, hier also ich."

nach urlaub goetzblog rückwärts lesend. freut mich.

"Plötzlich glauben die Leute der Literatur wirklich daran, man könnte einfach nocheinmal wie damals die Geschichten von vorne nach hinten, eines nach den anderen so durch- und vorerzählen. Aber die Sprache hat in den vergangenen hundertfünfzig Jahren andere Nervositäten aufgebaut, andere Spezialismen entwickelt und einstmals selbstverständlich Gewusstes wirklich VERGESSEN, es ist verschwunden wie in der Malerei das Können, realistisch gegenständlich abbildenden Malens. So hat der Autor, der sich um das traditionelle Erzählen bemüht, gar keine lebendige eigene Sprache zur Verfügung. Nicht weil er sie selber nicht hat, sondern weil es sie wirklich gar nicht gibt."

ja. (aber delillo, manchmal. ok, der ist auch schon über 70.)

Isolde Charim in der taz über Bachmann, aus rede in Klagenfurt, mit dank an itc.alex. stimmt schon, bleibt aber irgendwo in der etwas zu selbstgefälligen reflexion auf einem korrekten oberseminargedanken hängen. das sollte schon noch irgendwie weitergedacht werden können.

"Damit erhält der Roman einen Tagebuchcharakter. Das Tagebuch aber suggeriert, "dass es die Figur Ich nicht zu erschaffen braucht", weil sie vorhanden ist - eine trügerische Vorstellung. Bachmann selbst legt in ihrer Poetikvorlesung dar, dass jedes Ich im Text konstruiert ist - selbst dort, wo es biografisch ist. Ja, gerade dort. Ein unproblematisches Ich im Text sieht sie nur in Memoiren von historischen Personen gegeben: bei Politikern, Staatsmännern oder Militärs. Diese Art von Text-Ich sei mit dem Autor identisch und insofern "naiv" - eine selbstverständliche, unhinterfragte Identität von Autor und Text-Ich.

Bachmann erläutert nicht die Ursache, aber man kann annehmen, Handelnde, Politiker haben ein selbstverständliches Ich im Text, weil sich ihre Identität anderswo konstituiert. Ihr Handeln findet also jenseits des Textes statt - im Unterschied zum Schriftsteller. Dieser handelt demnach im Text. Er konstituiert sich als solcher ebendort.

Das ist aber eine knifflige Angelegenheit. Ist der Text nun das Medium der symbolischen Konstitution des Autors oder des Text-Ichs? Die Antwort lautet: Beide entstehen dort und sind doch nicht identisch (wie beim Politiker). Man muss vielmehr sagen, der Autor entsteht gerade daraus, dass er nicht das Subjekt im Text ist, dass er eben nicht Inhalt seiner Erzählung ist."

        

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