diedrich diederichsen, live gebloggt (via make.tv web-stream):
der begriff trägt zur verunklarung bei, weil er nicht hilft, die phänomene gut voneinander zu unterscheiden: alltagskultur, kunst, industrie etc. etc.
[wahr ist ja: was früher besondere techniken und patterns der pop-kultur waren, sind jetzt absoluter mainstream.]
eine geläufige definition: "pop-kultur lebt von stars, und dass jeder ein star sein könnte." (eh noch relativ brauchbar, so DD)
1. Geschichte: keine etymologische tradition im dtsprach. raum: deshalb denken alle gleich an "popmusik". in UK aber inzwischen wieder zurückgekehrt zum etym. ursprung "popular".
was ist jetzt "populär". und was ist "populäre kultur" nicht? was die opposition? antwort: eine kultur der popularität egal ist, weil sie eine andere legitimität hat. nun aber zur geschichte:
1a. volkskultur / herder: das breite volk gegen die elite, vielfalt der volkskulturen vs. einheitskultur. volkskulturen sind durch individualität legitimiert wie der bürgerliche künstler. hat etwas "wildes und wahres".
"das volk" wird aus der perspektive eines gebildeten (Herder) zum besseren "genie" befördert.
1b. massenkultur: umschlag in pessimismus: "volk" wird "masse". ende des 19. jahrhunderts: Gustav Le Bon, Trauma von Paris / Commune 1871.
[[fällt mir ein: in den 1920er jahren gabe es rechte (Diederichs-kreis, Friedrich von der Leyen, Thea von Harbou), die sich für großstadt, film und groschenhefte ebenso interessierten wie für Märchen.]]
1b. "arbeiterkultur": marxistisch. klassenbewusstsein. war normativer begriff: arbeiterbildungsverein. "was machen die denn so kulturell? was häkeln sie? ..."
2. historischer bruch 1900/1920: massenmedien.
nicht mehr: "was machen und basteln die so?" sondern: "was konsumieren die so?" und hier setzen an: Kritische Theorie (Frankfurt 1929), Cultural Studies (Birmingham 1959).
Kracauer: die "kleinen ladenmädchen gehen ins kino". erstmals so differenziert eine 'niedere' kulturelle gruppe. doppelt blinde untersuchungsanordnung: kennt weder "ladenmädchen" noch "kino", will jeweils das eine durch das je andere verstehen.
Dialektik der Aufklärung (1945): "kulturindustrie", (...) ist aber nicht einfach gezielte verblödung (etwa durch Hollywood). wieso kommt aber die ideologie & falsches bewusstsein zustande? mehr oder weniger automatisch, naturwüchsig, durch massenindustrielle herstellung von kulturwaren...
[[was hier fehlt: frühe singles in den 1930er jahren, v.a. auch Greil Marcus' großartige analyse der "folk"-song kultur auf schellacks, wie sich das singen verändert dadurch, dass die hinterwäldler staunend ihre eigenen platten hören, die wiederum eher eigensinnige spinner (und nicht "das volk") aufgenommen haben, und wie das dann wiederentdeckt wurde auf Harry Smith's anthology, als einer der ersten LPs ...]]
2b. Nachkriegszeit, 1947: Dialektik der Aufklärung veröffentlicht, kaum rezipiert [[JML: parallel ja 1947 start der "pop art" in UK, "pop" auf collage, name selbst dann erst 1956 oder so : werbung, magazine, jukebox, schundhefte ...]].
kino vs. radio: arbeitsteilung. stars in dunklen traum-räumen. radio ist alltag. aber jetzt, mit TV und Versandhandel, kommen waren ins haus. neues starsystem: aktiv, imitatorisch, expressiv, nicht mehr nur anhimmelnd.
[[da bin ich nicht ganz sicher, dass das wahr ist, dass es, wie DD sagt, nachgeahmte star-images in den 1930er jahren nicht gegeben hat ... Erich Kästner hat sich durchaus "massenmedial" selbst gestylet, seltsame großstadt-angestellten-dandys ...]]
2c. Birmingham, Birth of Cultural Studies (Ende der 1950er, während RnR und Skiffle, Institut in 1964 = beatles-Jahr): (1) es ist offenbar nicht einfach plane manipulation, weil die reaktionen/wirkungen so vielfältig sind; (2) es gibt aktive aneignung: jugendkultur, musik.
2d. erstmals die rede von "Popkultur" in den 1960er jahren: jugendkultur, gegenkultur, "um den gebrauch von popmusik entstandene kultur". die differenziert sich sehr schnell aus: (a) verbindet sich mit bildender kunst u.a. [[seit 1956 oder so in UK, seit ender der 1950er Warhol]] (b) verbindet sich mit politik, (c) verbindet sich mit neuen lebensformen, neo-lebensreform. zum ersten mal massenkultur als avantgarde.
neue performative struktur der popmusik: "stars" sind repräsentanten der massenkultur selbst, vs. hollywoodstar. [[lücke]]
[[das ist der emphatisch-qualitative POP-begriff, den DD verwendet:
kommt zu sich selbst 1964-1969, dann war es genaugenommen schon wieder vorbei.]]
die öffentliche person, die auf nichts mehr als auf sich selbst verweist. das ist der ursprung der neuen "celebrity"-kultur. das ist die fetischisierung und entleerung der besonderen selbst-aussagen der popkultur. jetzt aber (DD, kulturkritisch) celebrity "ohne inhalt".
[[das ist grob richtig, aber etwas simpel, möglicherweise: es gab auch flache popstars in den 1960ern, die interessant sind. da waren ja nicht all Dylan und Lennon. es gibt schon auch interessante aspekte an den leeren reality-"stars" der jetzt-zeit.]]
zurück zu Herder: volkskultur hatt einen zyklus, in dem sie herunterkam, bis zum nationalsozialismus.
so auch "popkultur": der mythos der "ehrlichen haut" (Dylan 1965) wird im zweiten schritt massenmedial hergestellt (Bono), im dritten schritt getrennt von der musik (die eine sehr komplexe selbstmach- und mitmach-kultur war) und nur noch "celebrity-kultur" [[wie verhält sich das zu Zsa Zsa Gabor]].
[[Dylan, das wär interessant: wie er in den Basement Tapes Sessons die alte auf Singles gepresste Folk-Kultur wieder experimentell belebt, wie er sich als "Alias" stilisiert, Mann ohne Namen, Sänger einer imaginären (!) Volkskultur]]
[[wie dann Marc Bolan in seiner großartigen phase 1971/72 genauso aussieht wie der Star-dylan auf seiner 1965-tour, ich glaube ja, unzufällig.
Dylan war ja neuer "popstar" avant lettre. komisch übrigens, Elvis nicht zu erwähnen!
Eigentlich ist das ja die purste zeit des pop-startums: Marc Bolan.
Joe Cocker dagegen, den DD in einem atemzug mit Bono erwähnt, war ja in wahrheit nie "Star", immer nur "Stimme", und er wurde dann halt zum 'leeren' klischee der "ehrlichen Stimme"]]
der begriff trägt zur verunklarung bei, weil er nicht hilft, die phänomene gut voneinander zu unterscheiden: alltagskultur, kunst, industrie etc. etc.
[wahr ist ja: was früher besondere techniken und patterns der pop-kultur waren, sind jetzt absoluter mainstream.]
eine geläufige definition: "pop-kultur lebt von stars, und dass jeder ein star sein könnte." (eh noch relativ brauchbar, so DD)
1. Geschichte: keine etymologische tradition im dtsprach. raum: deshalb denken alle gleich an "popmusik". in UK aber inzwischen wieder zurückgekehrt zum etym. ursprung "popular".
was ist jetzt "populär". und was ist "populäre kultur" nicht? was die opposition? antwort: eine kultur der popularität egal ist, weil sie eine andere legitimität hat. nun aber zur geschichte:
1a. volkskultur / herder: das breite volk gegen die elite, vielfalt der volkskulturen vs. einheitskultur. volkskulturen sind durch individualität legitimiert wie der bürgerliche künstler. hat etwas "wildes und wahres".
"das volk" wird aus der perspektive eines gebildeten (Herder) zum besseren "genie" befördert.
1b. massenkultur: umschlag in pessimismus: "volk" wird "masse". ende des 19. jahrhunderts: Gustav Le Bon, Trauma von Paris / Commune 1871.
[[fällt mir ein: in den 1920er jahren gabe es rechte (Diederichs-kreis, Friedrich von der Leyen, Thea von Harbou), die sich für großstadt, film und groschenhefte ebenso interessierten wie für Märchen.]]
1b. "arbeiterkultur": marxistisch. klassenbewusstsein. war normativer begriff: arbeiterbildungsverein. "was machen die denn so kulturell? was häkeln sie? ..."
2. historischer bruch 1900/1920: massenmedien.
nicht mehr: "was machen und basteln die so?" sondern: "was konsumieren die so?" und hier setzen an: Kritische Theorie (Frankfurt 1929), Cultural Studies (Birmingham 1959).
Kracauer: die "kleinen ladenmädchen gehen ins kino". erstmals so differenziert eine 'niedere' kulturelle gruppe. doppelt blinde untersuchungsanordnung: kennt weder "ladenmädchen" noch "kino", will jeweils das eine durch das je andere verstehen.
Dialektik der Aufklärung (1945): "kulturindustrie", (...) ist aber nicht einfach gezielte verblödung (etwa durch Hollywood). wieso kommt aber die ideologie & falsches bewusstsein zustande? mehr oder weniger automatisch, naturwüchsig, durch massenindustrielle herstellung von kulturwaren...
[[was hier fehlt: frühe singles in den 1930er jahren, v.a. auch Greil Marcus' großartige analyse der "folk"-song kultur auf schellacks, wie sich das singen verändert dadurch, dass die hinterwäldler staunend ihre eigenen platten hören, die wiederum eher eigensinnige spinner (und nicht "das volk") aufgenommen haben, und wie das dann wiederentdeckt wurde auf Harry Smith's anthology, als einer der ersten LPs ...]]
2b. Nachkriegszeit, 1947: Dialektik der Aufklärung veröffentlicht, kaum rezipiert [[JML: parallel ja 1947 start der "pop art" in UK, "pop" auf collage, name selbst dann erst 1956 oder so : werbung, magazine, jukebox, schundhefte ...]].
kino vs. radio: arbeitsteilung. stars in dunklen traum-räumen. radio ist alltag. aber jetzt, mit TV und Versandhandel, kommen waren ins haus. neues starsystem: aktiv, imitatorisch, expressiv, nicht mehr nur anhimmelnd.
[[da bin ich nicht ganz sicher, dass das wahr ist, dass es, wie DD sagt, nachgeahmte star-images in den 1930er jahren nicht gegeben hat ... Erich Kästner hat sich durchaus "massenmedial" selbst gestylet, seltsame großstadt-angestellten-dandys ...]]
2c. Birmingham, Birth of Cultural Studies (Ende der 1950er, während RnR und Skiffle, Institut in 1964 = beatles-Jahr): (1) es ist offenbar nicht einfach plane manipulation, weil die reaktionen/wirkungen so vielfältig sind; (2) es gibt aktive aneignung: jugendkultur, musik.
2d. erstmals die rede von "Popkultur" in den 1960er jahren: jugendkultur, gegenkultur, "um den gebrauch von popmusik entstandene kultur". die differenziert sich sehr schnell aus: (a) verbindet sich mit bildender kunst u.a. [[seit 1956 oder so in UK, seit ender der 1950er Warhol]] (b) verbindet sich mit politik, (c) verbindet sich mit neuen lebensformen, neo-lebensreform. zum ersten mal massenkultur als avantgarde.
neue performative struktur der popmusik: "stars" sind repräsentanten der massenkultur selbst, vs. hollywoodstar. [[lücke]]
[[das ist der emphatisch-qualitative POP-begriff, den DD verwendet:
kommt zu sich selbst 1964-1969, dann war es genaugenommen schon wieder vorbei.]]
die öffentliche person, die auf nichts mehr als auf sich selbst verweist. das ist der ursprung der neuen "celebrity"-kultur. das ist die fetischisierung und entleerung der besonderen selbst-aussagen der popkultur. jetzt aber (DD, kulturkritisch) celebrity "ohne inhalt".
[[das ist grob richtig, aber etwas simpel, möglicherweise: es gab auch flache popstars in den 1960ern, die interessant sind. da waren ja nicht all Dylan und Lennon. es gibt schon auch interessante aspekte an den leeren reality-"stars" der jetzt-zeit.]]
zurück zu Herder: volkskultur hatt einen zyklus, in dem sie herunterkam, bis zum nationalsozialismus.
so auch "popkultur": der mythos der "ehrlichen haut" (Dylan 1965) wird im zweiten schritt massenmedial hergestellt (Bono), im dritten schritt getrennt von der musik (die eine sehr komplexe selbstmach- und mitmach-kultur war) und nur noch "celebrity-kultur" [[wie verhält sich das zu Zsa Zsa Gabor]].
[[Dylan, das wär interessant: wie er in den Basement Tapes Sessons die alte auf Singles gepresste Folk-Kultur wieder experimentell belebt, wie er sich als "Alias" stilisiert, Mann ohne Namen, Sänger einer imaginären (!) Volkskultur]]
[[wie dann Marc Bolan in seiner großartigen phase 1971/72 genauso aussieht wie der Star-dylan auf seiner 1965-tour, ich glaube ja, unzufällig.
Dylan war ja neuer "popstar" avant lettre. komisch übrigens, Elvis nicht zu erwähnen!
Eigentlich ist das ja die purste zeit des pop-startums: Marc Bolan.
Joe Cocker dagegen, den DD in einem atemzug mit Bono erwähnt, war ja in wahrheit nie "Star", immer nur "Stimme", und er wurde dann halt zum 'leeren' klischee der "ehrlichen Stimme"]]
jurijmlotman - am Donnerstag, 20. November 2008, 18:15 - Rubrik: aging of pop