… dieses Postings genau gesagt.
Blogs sind semantische Generatoren, die mit erstaunlich hoher Wahrscheinlichkeit etwas produzieren, das „Literatur“ sehr nahe kommt. Und ich selbst lese sie nicht zuletzt als Ersatz für eine Art von Literatur, die es (für mich) einfach nicht gibt.
Interessant ist, dass die Versuche so eindeutig scheitern, daraus dann „wirkliche Literatur“ zu machen, ob durch Abdruck auf Papier oder öffentliche Lesung. Die Texte scheinen nur dann zu funktionieren, wenn man sie in ihrem lebendigen Blog-Kontext liest, und außerhalb sofort abzusterben.
Was allerdings auch daran liegt, dass Blogger mit Literatur-Ambition keine Ahnung zu haben scheint, was gut daran ist, was sie machen (insofern da etwas gut ist). Sie glauben an den „guten Text“ und koppeln dann irgendetwas Feuilletonistisches und Poetisches aus. Was sie für Kunststücke halten.
Aber das beste an Blogs ist ja immer das Projekt, das die Text-Momente erzeugt. Umgekehrt kann man vermutlich nur solche Texte als Single auskoppeln, die in a nutshell dieses Projekt bereits enthalten. Oder besonders dichte und zur Not sogar bearbeitete Text-Collagen, die den spezifischen Blog-Flow und/oder den Blog-Screen verkörpern.
So wie selbst die besten Texte von Popsongs in gedruckter Form praktisch nie funktionieren. Jim Morrisons Gedichtbände habe ich einmal gelesen: grauenhaft. Dylans Roman „Tarantula“ war auch ziemlich furchtbar, jedenfalls in deutsch, aber er spielt glaube ich auch in den USA keine Rolle. Und ich gehe ja jede Wette ein, dass auch das Nick Cave-Buch, das ich nie lesen wollte, Mist ist. Gibt es überhaupt irgendein gutes literarisches Buch eines Pop-Musikers?
Trotzdem wurde Dylan völlig zu Recht für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Aber das spricht eher gegen die Literatur. Er hat dazu gesagt, dass er nie das Gefühl hatte, dass das, was er macht, etwas mit „Großer Literatur“ zu tun hat. Ich glaube, das war nicht gelogen, obwohl er ja alles ausgeschlachtet hat, was er nur irgendwie brauchen konnte. Aber er machte daraus etwas anderes: etwas, das mit Musik und Stimme untrennbar verschmolzen ist und eigentlich nur im Moment der Performance existiert. Gedruckt ist so ein Text nur eine Leerform, eine Möglichkeit. Oder eine Erinnerung. Möglicherweise wirklich etwas, das Dylan mit Brecht verbindet, von dem ich ja auch keinen einzigen endgültigen Text nennen könnte.
Literatur ist gedruckt. Alles was nicht gedruckt ist, sollte anders genannt werden.
Trotzdem: Ich denke, eine neue, im Wortsinn „zeitgemäße“ gedruckte Literatur, wenn es eine gibt, wird aus der Schreibpraxis der Blogs entstehen müssen. Aber dazu müsste man neue Formen finden, die weder „Blog“ sind noch alte Literatur. Also nicht: „Geschichte“, „Gedicht“, „poetisches Prosastück“.
Die Qualität von Blog-Literatur liegt woanders: im Alltagstonfall, in den Stimmen selbst, in dem sprachlichen Reichtum, in den Nuancen, in dem Drive.
Mögliche Definition: „Literatur“ wird daraus, wenn eine Stimme sich aus Aussagen, Splittern und Spuren sich formt, die ansatzweise eine „literarische“ Haltung spiegeln bzw. erzeugen. Eine literarische Haltung ist dann gegeben, wenn das, was zwischen den zeilen und Postings steht, das, worum die sprachlichen Akte sich drehen und was die Sprachspielzüge vorantreibt, die Frage danach ist, wie Welten (und Menschen) aus Zeichen entstehen.
Blogs sind semantische Generatoren, die mit erstaunlich hoher Wahrscheinlichkeit etwas produzieren, das „Literatur“ sehr nahe kommt. Und ich selbst lese sie nicht zuletzt als Ersatz für eine Art von Literatur, die es (für mich) einfach nicht gibt.
Interessant ist, dass die Versuche so eindeutig scheitern, daraus dann „wirkliche Literatur“ zu machen, ob durch Abdruck auf Papier oder öffentliche Lesung. Die Texte scheinen nur dann zu funktionieren, wenn man sie in ihrem lebendigen Blog-Kontext liest, und außerhalb sofort abzusterben.
Was allerdings auch daran liegt, dass Blogger mit Literatur-Ambition keine Ahnung zu haben scheint, was gut daran ist, was sie machen (insofern da etwas gut ist). Sie glauben an den „guten Text“ und koppeln dann irgendetwas Feuilletonistisches und Poetisches aus. Was sie für Kunststücke halten.
Aber das beste an Blogs ist ja immer das Projekt, das die Text-Momente erzeugt. Umgekehrt kann man vermutlich nur solche Texte als Single auskoppeln, die in a nutshell dieses Projekt bereits enthalten. Oder besonders dichte und zur Not sogar bearbeitete Text-Collagen, die den spezifischen Blog-Flow und/oder den Blog-Screen verkörpern.
So wie selbst die besten Texte von Popsongs in gedruckter Form praktisch nie funktionieren. Jim Morrisons Gedichtbände habe ich einmal gelesen: grauenhaft. Dylans Roman „Tarantula“ war auch ziemlich furchtbar, jedenfalls in deutsch, aber er spielt glaube ich auch in den USA keine Rolle. Und ich gehe ja jede Wette ein, dass auch das Nick Cave-Buch, das ich nie lesen wollte, Mist ist. Gibt es überhaupt irgendein gutes literarisches Buch eines Pop-Musikers?
Trotzdem wurde Dylan völlig zu Recht für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Aber das spricht eher gegen die Literatur. Er hat dazu gesagt, dass er nie das Gefühl hatte, dass das, was er macht, etwas mit „Großer Literatur“ zu tun hat. Ich glaube, das war nicht gelogen, obwohl er ja alles ausgeschlachtet hat, was er nur irgendwie brauchen konnte. Aber er machte daraus etwas anderes: etwas, das mit Musik und Stimme untrennbar verschmolzen ist und eigentlich nur im Moment der Performance existiert. Gedruckt ist so ein Text nur eine Leerform, eine Möglichkeit. Oder eine Erinnerung. Möglicherweise wirklich etwas, das Dylan mit Brecht verbindet, von dem ich ja auch keinen einzigen endgültigen Text nennen könnte.
Literatur ist gedruckt. Alles was nicht gedruckt ist, sollte anders genannt werden.
Trotzdem: Ich denke, eine neue, im Wortsinn „zeitgemäße“ gedruckte Literatur, wenn es eine gibt, wird aus der Schreibpraxis der Blogs entstehen müssen. Aber dazu müsste man neue Formen finden, die weder „Blog“ sind noch alte Literatur. Also nicht: „Geschichte“, „Gedicht“, „poetisches Prosastück“.
Die Qualität von Blog-Literatur liegt woanders: im Alltagstonfall, in den Stimmen selbst, in dem sprachlichen Reichtum, in den Nuancen, in dem Drive.
Mögliche Definition: „Literatur“ wird daraus, wenn eine Stimme sich aus Aussagen, Splittern und Spuren sich formt, die ansatzweise eine „literarische“ Haltung spiegeln bzw. erzeugen. Eine literarische Haltung ist dann gegeben, wenn das, was zwischen den zeilen und Postings steht, das, worum die sprachlichen Akte sich drehen und was die Sprachspielzüge vorantreibt, die Frage danach ist, wie Welten (und Menschen) aus Zeichen entstehen.
jurijmlotman - am Samstag, 26. Februar 2005, 16:47 - Rubrik: neue deutsche literatur
creekpeople meinte am 1. Mär, 11:47:
Vorschlag zum Pop-Buch
Gutes Buch, gute Band, aber warscheinlich nicht als Pop einzustufen: Sven Regener,Element of Crime, "Herr Lehmann" (und unter Vorbehalten auch "Neue Vahr Süd", das Prequel) Passt natürlich nur ansatzweise zu ihrer Frage, denn Regener versuchte ja gar nicht erst irgendeine Verbindung zwischen seinen Liedtexten und seinem Roman herzustellen. Und außerdem waren Element of Crime nie Pop, solange man darunter kurzlebigkeit und Zuckerguss versteht... (Der Definition entsprach das Buch dann schon eher)
jurijmlotman antwortete am 2. Mär, 14:34:
ja ...
... ich würde auch sagen: Herr Lehmann ist vermutlich "Literatur" (Buch unter Büchern), da wiederum filed under "Popliteratur" (im weitesten Sinn, wie der Begriff in künftigen Literaturgeschichten gebraucht werden wird). ich habe ein nicht begründetes vorurteil gegen das buch, irgendwie wg. lascher mit-sich-selbst-sympathisierender berlin-boheme, und weil ich eh ein gestörtes verhältnis zu explizit ausgewiesenem unernst habe. aber ich weiss schon, dass ich es doch lesen muss.interessant wäre noch, inwieweit element-of-crime-texte als "literatur" funktionieren. ich habe nur ein vages pathos-unbehagen von den wenigen begegnungen zurückbehalten, aber auch das ist idiosynkratisch und vermutlich ungerecht.
assotsiationsklimbim meinte am 20. Mär, 11:33:
was hier entfernt dazugehört, bernard sumner über lou reed: Lou hat mal ziemlich gute Songs geschrieben, ›Vicious‹ z. B., ›Sweet Jane‹ und so. Heute ist ihm der Melodie-Aspekt nicht mehr so wichtig, seine Songs entstehen rund um seine Texte. Er sieht sich eher als eine Art Autor denn als Musiker. Er sollte lieber Bücher schreiben. Wenn Leute sich für Worte interessieren, dann kaufen sie sich Bücher. Mir geht es jedenfalls so. Dann kaufe ich mir keine CD. Wenn ich mir eine CD kaufe, dann will ich eine Melodie hören.und auch sonst interessantes interview und hoch sympathischer typ. schade nur, dass sowas immer übersetzt wird.
jurijmlotman antwortete am 24. Mär, 22:21:
ja ...
... stimmt alles. aging of pop in seiner würdevollsten form. ich sollte also doch new order-platten kaufen. die waren immer irgendwie gerade jenseits meines horizonts.