... Uwe Theel in der freitag antwortet auf einen neuen Müntefering-text, in dem es darum geht, was eigentlich 'links' ist.
Müntefering versucht, den bürgerlichen Individuum-begriff als grundlage für links-sein zu verkaufen: die "freiheit":
"Vor der Gesellschaft kommt das Individuum. Das Individuum steht im Zentrum der linken Idee. Freiheit ist der unbedingte Respekt vor dem Individuum, vor jedem einzelnen Menschen gleicher Weise."
die frage ist natürlich, was damit gerechtfertigt werden soll. und Theel deckt die wunde stelle auf: "einen etwaigen Unterschied zum bürgerlichen Begriff des Individuums und seiner Freiheit deutet Müntefering nicht einmal an".
der streitpunkt ist eigentlich, ob man [wie Müntefering] den status quo zum ziel der geschichte erklärt und nur noch etwas daran herumbasteln will, oder ob man glaubt, dass die existierende demokratische gesellschaft keineswegs auch nur ansatzweise befriedigend die erfüllung der möglichkeiten für möglichst alle beteiligten menschlichen individuen bedeutet.
meine eigene antwort auf diese frage (in diesem blog hier) ging ja aus vom humanismus: der individuelle mensch steht im mittelpunkt, der/die seine/ihre würde und die realisierung der menschlichen möglichkeiten aber eben nicht bereits hat, sondern erst durch soziale beziehungen, kommunikationen und aufbau von formen & institutionen verwirklicht.
Theel bringt ein schönes Marx-zitat zur notwendig sozial & historisch bedingten individualität.
"Die Individuen sind immer und unter allen Umständen von sich ausgegangen, aber da ihre Bedürfnisse,... und die Weise, sie zu befriedigen, sie aufeinander bezog (Geschlechtsverhältnis, Austausch, Teilung der Arbeit), so mussten sie in Verhältnisse treten.
Da sie ferner nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr traten, in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen ... zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft.
… die Entwicklung eines Individuums [ist]durch die Entwicklung aller anderen, mit denen es in direktem oder indirektem Verkehr steht, bedingt ... die verschiedenen Generationen von Individuen, die miteinander in Verhältnisse treten, [haben] einen Zusammenhang unter sich ... die Späteren in ihrer physischen Existenz [sind bedingt] durch ihre Vorgänger [und übernehmen] von ihnen akkumulierten Produktivkräfte und Verkehrsformen" ... (Dt. Ideologie)
Müntefering versucht, den bürgerlichen Individuum-begriff als grundlage für links-sein zu verkaufen: die "freiheit":
"Vor der Gesellschaft kommt das Individuum. Das Individuum steht im Zentrum der linken Idee. Freiheit ist der unbedingte Respekt vor dem Individuum, vor jedem einzelnen Menschen gleicher Weise."
die frage ist natürlich, was damit gerechtfertigt werden soll. und Theel deckt die wunde stelle auf: "einen etwaigen Unterschied zum bürgerlichen Begriff des Individuums und seiner Freiheit deutet Müntefering nicht einmal an".
der streitpunkt ist eigentlich, ob man [wie Müntefering] den status quo zum ziel der geschichte erklärt und nur noch etwas daran herumbasteln will, oder ob man glaubt, dass die existierende demokratische gesellschaft keineswegs auch nur ansatzweise befriedigend die erfüllung der möglichkeiten für möglichst alle beteiligten menschlichen individuen bedeutet.
meine eigene antwort auf diese frage (in diesem blog hier) ging ja aus vom humanismus: der individuelle mensch steht im mittelpunkt, der/die seine/ihre würde und die realisierung der menschlichen möglichkeiten aber eben nicht bereits hat, sondern erst durch soziale beziehungen, kommunikationen und aufbau von formen & institutionen verwirklicht.
Theel bringt ein schönes Marx-zitat zur notwendig sozial & historisch bedingten individualität.
"Die Individuen sind immer und unter allen Umständen von sich ausgegangen, aber da ihre Bedürfnisse,... und die Weise, sie zu befriedigen, sie aufeinander bezog (Geschlechtsverhältnis, Austausch, Teilung der Arbeit), so mussten sie in Verhältnisse treten.
Da sie ferner nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr traten, in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen ... zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft.
… die Entwicklung eines Individuums [ist]durch die Entwicklung aller anderen, mit denen es in direktem oder indirektem Verkehr steht, bedingt ... die verschiedenen Generationen von Individuen, die miteinander in Verhältnisse treten, [haben] einen Zusammenhang unter sich ... die Späteren in ihrer physischen Existenz [sind bedingt] durch ihre Vorgänger [und übernehmen] von ihnen akkumulierten Produktivkräfte und Verkehrsformen" ... (Dt. Ideologie)
jurijmlotman - am Montag, 31. Mai 2010, 13:41
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lieber björn böhning,
ohne jetzt die parteiinternen taktik-spielchen zu kennen oder auch nur kennen zu wollen, und wenn ich mal den konkreten thematischen anlass hier ausklammere (dazu ist eh alles gesagt):
ist nicht diese ganze geschichte, und zwar seit anfang des jahres, ein lehrstück dafür, dass nicht nur die SPD, sondern die parteiendemokratie in dieser ganz ganz alten form ebenso dem untergang geweiht ist wie, nur zum beispiel jetzt, die papierpresse-wie-wir-sie-kannten?
also dieses im lauf dieser angelegenheit sichtbar gewordene unfassbare ausmaß an dilettantismus, desinteresse, das nicht-aufbringen jeder ernsthaftigkeit bei der beschäftigung mit (komplizierten) politischen sachfragen, das überdies auch noch anfängerhafte spin-doktoren-gewurschtel, bis man über die eigenen füße fällt, die parteitag-regie-geschäftsordnungsintrigen von 70jährigen , das konservative beharren auf einer heruntergekommenen, schmierigen und zugleich herablassenden “die Menschen”-rhetorik, anstatt die leute in diesem land als bürger (cityoens) ernst zu nehmen und zu fordern …
kurz gefragt: wie wird die rolle von parteien in 10 jahren aussehen, wenn münte endlich in rente ist? was ist die vision der generation der 31jährigen vollprofis, die von jung auf gleich parteipolitik studiert haben? das ist wohlgemerkt eine ernst gemeinte frage: ich würde das gern wissen.
(war kommentar zum "Offenen Brief" Boehnings wg. SPD-haltung zum netzsperren-gg.-kinderporno-gesetz. großartig natürlich, dass die hinter-den-kulissen-vorgänge jetzt so offen sind: siehe anlage in den kommentaren hier.)
ohne jetzt die parteiinternen taktik-spielchen zu kennen oder auch nur kennen zu wollen, und wenn ich mal den konkreten thematischen anlass hier ausklammere (dazu ist eh alles gesagt):
ist nicht diese ganze geschichte, und zwar seit anfang des jahres, ein lehrstück dafür, dass nicht nur die SPD, sondern die parteiendemokratie in dieser ganz ganz alten form ebenso dem untergang geweiht ist wie, nur zum beispiel jetzt, die papierpresse-wie-wir-sie-kannten?
also dieses im lauf dieser angelegenheit sichtbar gewordene unfassbare ausmaß an dilettantismus, desinteresse, das nicht-aufbringen jeder ernsthaftigkeit bei der beschäftigung mit (komplizierten) politischen sachfragen, das überdies auch noch anfängerhafte spin-doktoren-gewurschtel, bis man über die eigenen füße fällt, die parteitag-regie-geschäftsordnungsintrigen von 70jährigen , das konservative beharren auf einer heruntergekommenen, schmierigen und zugleich herablassenden “die Menschen”-rhetorik, anstatt die leute in diesem land als bürger (cityoens) ernst zu nehmen und zu fordern …
kurz gefragt: wie wird die rolle von parteien in 10 jahren aussehen, wenn münte endlich in rente ist? was ist die vision der generation der 31jährigen vollprofis, die von jung auf gleich parteipolitik studiert haben? das ist wohlgemerkt eine ernst gemeinte frage: ich würde das gern wissen.
(war kommentar zum "Offenen Brief" Boehnings wg. SPD-haltung zum netzsperren-gg.-kinderporno-gesetz. großartig natürlich, dass die hinter-den-kulissen-vorgänge jetzt so offen sind: siehe anlage in den kommentaren hier.)
jurijmlotman - am Donnerstag, 18. Juni 2009, 08:58 - Rubrik: die spd neu erfinden
... zufällig habe ich bemerkt, dass das Schröder-Blair-Papier vom 8. Juni 1999 stammt: 10jähriges Jubiläum!
weil sich kaum jemand erinnern wird: das war das strategiepapier, inhaltlich eher von Blair stammend, das eine neue sozialdemokratie proklamierte, als konsequenz daraus, dass die alten muster nicht mehr auf die neue soziökonomische welt passen. so weit, so richtig. was dann vorgeschlagen wurde, war natürlich grausam: "wettbewerb" und "markt", übernahme neoliberaler phrasen, geist der dotcom-bubble plus SAP-effizienz-globalkapitalismus. Internet erwähnt, vor allem wegen der einkaufsmöglichkeiten.
und trotzdem: so scheußlich das war und ist, es war eben doch ein schritt in die richtige richtung. wir müssen das lesen, und erst dann verketzern, nicht schon von vornherein, auch wenn ich den reflex gut verstehe. es ist ja wahr, dass wir mit den alten gut gemeinten retro-linken positionen nicht recht weiterkommen.
Mercedes Bunz hat irgendwann was interessantes zu "linkem neoliberalismus" geschrieben, im zusammenhang mit der re:publica vor 2 jahren, glaub ich, aber ich finde den text nicht mehr. (BTW, der mündliche girlie-habitus und -tonfall von Frau Bunz stößt mich merkwürdig ab. neuere weibliche intellektualität muss sich doch auch anders anhören können.)
wohlgemerkt: ich will keinen linken neoliberalismus. sozialdemokratische kernziele sind natürlich solidarität, hilfe für benachteiligte, die sich nicht in almosen erschöpft, und soziale gleichheit (nicht windelweiche "gerechtigkeit"). trotzdem: der sozialstaat der 1970er jahre kommt nicht wieder. es wird ungemütlich. Marx allerdings hätte damit wohl kein problem gehabt: kein zweifel, die widersprüche werden sich zuspitzen.
ich habe also das 10jährige jubiläum zum anlass genommen, das SchröderBlairPapier einfach mal beim durchlesen zu verbessern. die argumentation und 90% des textes sind beibehalten, einiges wurde umfromuliert, ein paar sätze ergänzt. der resultierende Lindner-Schröder-Blair-Papier-Remix ist keine satire, sondern ein erkenntnisförderndes laborexperiment, und kann hier gelesen und ausgedruckt werden.
im folgenden nur ein paar herausgelöste ausschnitte, die von mir neu hinzugefügt bzw. stark umgebogen wurden. lustiger ist es imkontext des originals ...
"... Aber wahr ist auch: Das Festhalten an staatlicher Hilfe für Benachteiligte als universalem Lösungsmuster für alle Probleme des fundamentalen gesellschaftlichen Umbruchs, in dem wir stehen, ist allein keine ausreichende Grundlage für zukunftsorientierte linke Politik. Das ist der Kurs von "Die Linken": Sie sind de facto eine Lobby für die Modernisierungsverlierer. Daran ist eigentlich noch nichts Falsches, denn die anderen gesellschaftlichen Interessen haben ihre eigenen egoistischen Lobbies. Das Problem ist, dass Lobbyismus, auch wenn er berechtigt ist, längerfristig nicht politische Konzeptionen ersetzt.
"Um diese Werte für die heutigen Herausforderungen relevant zu machen, bedarf es realistischer und vorausschauender Politik, die in der Lage ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu erkennen. Modernisierung der Politik bedeutet nicht, auf Meinungsumfragen zu reagieren, sondern es bedeutet, sich an objektiv veränderte Bedingungen anzupassen." (original)
Eigentlich müssen wir wieder auf Marx zurückzugehen: Wir müssen den Kapitalismus im digitalen Zeitalter analysieren, um ihn besser zu verstehen als die Kapitalisten selbst. Wir müssen die Eigendynamiken und Binnenlogiken herausarbeiten, die sich ausnutzen lassen, um für eine neue emanzipatorische, solidarische Bewegung Schwung zu gewinnen.
Wir müssen unsere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb dessen der alte Gegensatz wie auch das alte Zusammenspiel von "der Staat" und "die Wirtschaft" überwunden ist. Das alte Spiel funktioniert nicht mehr. Das neue Spiel, das gerade entsteht, haben wir noch nicht verstanden. Niemand hat es bisher verstanden.
Die Rolle von "Märkten" muss völlig neu überdacht werden. Markt ist nicht Markt. Der Markt als ein System, um kreative Unordnung zu organisieren und kollektive Lösungen auf sozialen und gesellschaftlichen Bedarf zu finden, ist nicht dasselbe wie der "Markt" des globalen Finanzkapitalismus oder der "Markt" von staatlich subventionierten Großtechnologiekonzernen.
Politik kann gesellschaftliche Rahmenbedingungen setzen und sie kann auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Energien auf neuralgische Punkte lenken. Leider hat hier Politik in den letzten 10 Jahren auf der ganzen Linie versagt, die Sozialdemokraten eingeschlossen.
Die Steuerungsfunktion von Märkten muß durch die Politik ergänzt und verbessert werden, kann aber nicht durch Politik ersetzt werden. Politik ist immer nur eine gesellschaftliche Kraft unter mehreren. Was aber eine "linke Marktwirtschaft" sein könnte, müssen wir klären.
Wir müssen unsere Politik stärken, indem wir unsere Erfahrungen austauschen, aber auch mit den Gleichgesinnten in Europa und der übrigen Welt. Insbesondere auch mit denen, die sich seit 10 Jahren im digitalen Raum organisieren.
Mit diesem Appell wollen wir alle, die unsere Modernisierungsziele teilen, einladen, sich an unserer Diskussion zu beteiligen.
..."
weil sich kaum jemand erinnern wird: das war das strategiepapier, inhaltlich eher von Blair stammend, das eine neue sozialdemokratie proklamierte, als konsequenz daraus, dass die alten muster nicht mehr auf die neue soziökonomische welt passen. so weit, so richtig. was dann vorgeschlagen wurde, war natürlich grausam: "wettbewerb" und "markt", übernahme neoliberaler phrasen, geist der dotcom-bubble plus SAP-effizienz-globalkapitalismus. Internet erwähnt, vor allem wegen der einkaufsmöglichkeiten.
und trotzdem: so scheußlich das war und ist, es war eben doch ein schritt in die richtige richtung. wir müssen das lesen, und erst dann verketzern, nicht schon von vornherein, auch wenn ich den reflex gut verstehe. es ist ja wahr, dass wir mit den alten gut gemeinten retro-linken positionen nicht recht weiterkommen.
Mercedes Bunz hat irgendwann was interessantes zu "linkem neoliberalismus" geschrieben, im zusammenhang mit der re:publica vor 2 jahren, glaub ich, aber ich finde den text nicht mehr. (BTW, der mündliche girlie-habitus und -tonfall von Frau Bunz stößt mich merkwürdig ab. neuere weibliche intellektualität muss sich doch auch anders anhören können.)
wohlgemerkt: ich will keinen linken neoliberalismus. sozialdemokratische kernziele sind natürlich solidarität, hilfe für benachteiligte, die sich nicht in almosen erschöpft, und soziale gleichheit (nicht windelweiche "gerechtigkeit"). trotzdem: der sozialstaat der 1970er jahre kommt nicht wieder. es wird ungemütlich. Marx allerdings hätte damit wohl kein problem gehabt: kein zweifel, die widersprüche werden sich zuspitzen.
ich habe also das 10jährige jubiläum zum anlass genommen, das SchröderBlairPapier einfach mal beim durchlesen zu verbessern. die argumentation und 90% des textes sind beibehalten, einiges wurde umfromuliert, ein paar sätze ergänzt. der resultierende Lindner-Schröder-Blair-Papier-Remix ist keine satire, sondern ein erkenntnisförderndes laborexperiment, und kann hier gelesen und ausgedruckt werden.
im folgenden nur ein paar herausgelöste ausschnitte, die von mir neu hinzugefügt bzw. stark umgebogen wurden. lustiger ist es imkontext des originals ...
"... Aber wahr ist auch: Das Festhalten an staatlicher Hilfe für Benachteiligte als universalem Lösungsmuster für alle Probleme des fundamentalen gesellschaftlichen Umbruchs, in dem wir stehen, ist allein keine ausreichende Grundlage für zukunftsorientierte linke Politik. Das ist der Kurs von "Die Linken": Sie sind de facto eine Lobby für die Modernisierungsverlierer. Daran ist eigentlich noch nichts Falsches, denn die anderen gesellschaftlichen Interessen haben ihre eigenen egoistischen Lobbies. Das Problem ist, dass Lobbyismus, auch wenn er berechtigt ist, längerfristig nicht politische Konzeptionen ersetzt.
"Um diese Werte für die heutigen Herausforderungen relevant zu machen, bedarf es realistischer und vorausschauender Politik, die in der Lage ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu erkennen. Modernisierung der Politik bedeutet nicht, auf Meinungsumfragen zu reagieren, sondern es bedeutet, sich an objektiv veränderte Bedingungen anzupassen." (original)
Eigentlich müssen wir wieder auf Marx zurückzugehen: Wir müssen den Kapitalismus im digitalen Zeitalter analysieren, um ihn besser zu verstehen als die Kapitalisten selbst. Wir müssen die Eigendynamiken und Binnenlogiken herausarbeiten, die sich ausnutzen lassen, um für eine neue emanzipatorische, solidarische Bewegung Schwung zu gewinnen.
Wir müssen unsere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb dessen der alte Gegensatz wie auch das alte Zusammenspiel von "der Staat" und "die Wirtschaft" überwunden ist. Das alte Spiel funktioniert nicht mehr. Das neue Spiel, das gerade entsteht, haben wir noch nicht verstanden. Niemand hat es bisher verstanden.
Die Rolle von "Märkten" muss völlig neu überdacht werden. Markt ist nicht Markt. Der Markt als ein System, um kreative Unordnung zu organisieren und kollektive Lösungen auf sozialen und gesellschaftlichen Bedarf zu finden, ist nicht dasselbe wie der "Markt" des globalen Finanzkapitalismus oder der "Markt" von staatlich subventionierten Großtechnologiekonzernen.
Politik kann gesellschaftliche Rahmenbedingungen setzen und sie kann auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Energien auf neuralgische Punkte lenken. Leider hat hier Politik in den letzten 10 Jahren auf der ganzen Linie versagt, die Sozialdemokraten eingeschlossen.
Die Steuerungsfunktion von Märkten muß durch die Politik ergänzt und verbessert werden, kann aber nicht durch Politik ersetzt werden. Politik ist immer nur eine gesellschaftliche Kraft unter mehreren. Was aber eine "linke Marktwirtschaft" sein könnte, müssen wir klären.
Wir müssen unsere Politik stärken, indem wir unsere Erfahrungen austauschen, aber auch mit den Gleichgesinnten in Europa und der übrigen Welt. Insbesondere auch mit denen, die sich seit 10 Jahren im digitalen Raum organisieren.
Mit diesem Appell wollen wir alle, die unsere Modernisierungsziele teilen, einladen, sich an unserer Diskussion zu beteiligen.
..."
jurijmlotman - am Freitag, 12. Juni 2009, 13:48 - Rubrik: die spd neu erfinden
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(war kommentar auf netzpolitik.)
ja, das gesetz ist ein fall für die mülltonne, und ja, frau von der leyen weckt auch in mir allergische reflexe (v.a. nachdem ich ihre horror-rede in tutzing sehen und hören konnte). aber es ist stumpf und sinnlos, unter gleichgesinnten sich begeistert immer nur neu die eigenen aversionen zu bestätigen, wie es häufig (durchaus nicht immer) geschieht.
drei punkte sind für mich nachdenkenswert:
(1) wahr ist ja, dass eine intensive debatte und das crowdsourcing von web-kompetenz zum schlüssel- und auch symbolthema “kinderpornographie” tatsächlich erst durch von der leyens vorstoß ausgelöst worden ist. warum?
schön wäre es, wenn in zukunft eine digital-direkte demokratische bewegung selbst imstande wäre, diese beeindruckende energie, die man jetzt sieht, auf lohnende ziele zu richten. nicht nur über den staat zu jammern (mit grund, natürlich), nicht nur zu reagieren, sondern selbst politik zu *machen*.
(2) und, das hängt zusammen, es ist hochinteressant, erstaunlich und erschreckend, wie wenig *irgendwer* zum thema “Kinderpornographie im Internet” weiß. es sieht ja für mich laien so aus, als ob Alvar Freudes recherchen (und ihre vorläufer) überhaupt der erste ernstzunehmende versuch sind, sich auch nur eine annähernde idee davon zu verschaffen. traditionell wäre das ja die (inoffizielle) aufgabe “der medien” gewesen, also der alten medien, deren versagen hier so richtig erst greifbar wird. auch das spricht für eine plattform für web-basierte politik, wie sie jetzt gerade zu emergieren scheint.
(3) was auch hier für mich zum ersten mal so richtig greifbar wird, ist die notwendigkeit, ein projekt “Mainstream 2.0″ zu beginnen und voranzutreiben. was jetzt nicht mehr geht, ist die bisherige gemütliche aufteilung in ahnungslose ausdrucker draußen und web-insider innen (die wieder in 1990er-Linux/Admin-Veteranen und Web2.0er zerfallen).
das großartige an der ganzen sache: in den letzten zwei monaten ist plötzlich eine ganz neue qualität von deutscher web-öffentlichkeit und web-politik entstanden. web-politik hat hier in D. ja überhaupt erst einmal eine wichtige (und kaum bemerkte!) politische Rolle gespielt: als die herumgemailten stoiber-videos und gabriele paulis homepage-gästebuch den fall der CSU auslösten.
unfassbar, was auf einmal alles an guten informationen, statements, live-streams, präsentationen, videos, diskussionen, gutachten, bundestag-anhörungen greifbar ist. Tipping Point?
ja, das gesetz ist ein fall für die mülltonne, und ja, frau von der leyen weckt auch in mir allergische reflexe (v.a. nachdem ich ihre horror-rede in tutzing sehen und hören konnte). aber es ist stumpf und sinnlos, unter gleichgesinnten sich begeistert immer nur neu die eigenen aversionen zu bestätigen, wie es häufig (durchaus nicht immer) geschieht.
drei punkte sind für mich nachdenkenswert:
(1) wahr ist ja, dass eine intensive debatte und das crowdsourcing von web-kompetenz zum schlüssel- und auch symbolthema “kinderpornographie” tatsächlich erst durch von der leyens vorstoß ausgelöst worden ist. warum?
schön wäre es, wenn in zukunft eine digital-direkte demokratische bewegung selbst imstande wäre, diese beeindruckende energie, die man jetzt sieht, auf lohnende ziele zu richten. nicht nur über den staat zu jammern (mit grund, natürlich), nicht nur zu reagieren, sondern selbst politik zu *machen*.
(2) und, das hängt zusammen, es ist hochinteressant, erstaunlich und erschreckend, wie wenig *irgendwer* zum thema “Kinderpornographie im Internet” weiß. es sieht ja für mich laien so aus, als ob Alvar Freudes recherchen (und ihre vorläufer) überhaupt der erste ernstzunehmende versuch sind, sich auch nur eine annähernde idee davon zu verschaffen. traditionell wäre das ja die (inoffizielle) aufgabe “der medien” gewesen, also der alten medien, deren versagen hier so richtig erst greifbar wird. auch das spricht für eine plattform für web-basierte politik, wie sie jetzt gerade zu emergieren scheint.
(3) was auch hier für mich zum ersten mal so richtig greifbar wird, ist die notwendigkeit, ein projekt “Mainstream 2.0″ zu beginnen und voranzutreiben. was jetzt nicht mehr geht, ist die bisherige gemütliche aufteilung in ahnungslose ausdrucker draußen und web-insider innen (die wieder in 1990er-Linux/Admin-Veteranen und Web2.0er zerfallen).
das großartige an der ganzen sache: in den letzten zwei monaten ist plötzlich eine ganz neue qualität von deutscher web-öffentlichkeit und web-politik entstanden. web-politik hat hier in D. ja überhaupt erst einmal eine wichtige (und kaum bemerkte!) politische Rolle gespielt: als die herumgemailten stoiber-videos und gabriele paulis homepage-gästebuch den fall der CSU auslösten.
unfassbar, was auf einmal alles an guten informationen, statements, live-streams, präsentationen, videos, diskussionen, gutachten, bundestag-anhörungen greifbar ist. Tipping Point?
jurijmlotman - am Mittwoch, 27. Mai 2009, 15:56 - Rubrik: emerging democracy
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Adam Soboczynki in DIE ZEIT. Lohnt nicht die allgemeine Aufregung, eher amüsant. Ist hier jemand schon mal aufgefallen, wie bewusst der Artikel "alte Intellektuellen-Sprache" verwendet? Preziöse Genitive und indirekte Rede satt.
"Jedem, der wachen Auges durch das Internet streift" ... "gegen den störrischen, nicht restlos absorbierbaren Intellektuellen, der sich einst seines Einzelgängertums rühmen durfte und als freier Autor oder Journalist sein Auskommen fand" ... "Man geht indes fehl, den Intellektuellen als bildungshuberischen Besitzstandswahrer aufzufassen" ... "Laienkultur, die sich ihrer Unbedarftheit rühmt" ... "Der Intellektuelle wird untertauchen wie der Taucher in die Tiefe, er wird Internetrandzonen bewohnen, Foren, die nur von seinesgleichen aufgesucht werden. ... Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er verschwinden. Seine Spur ist eine, die bald schon Wellen glätten."
Ja mei. Allein, Empörung ist hier fehl am Platze (sic!). Das ist das öffentliche Sich-für-anachronistisch-Erklären des Schöngeists, bewusst und freiwillig. Aus dem Geist der Inneren Emigration. Völlig harmlos, muss man nicht ernst nehmen. Kein Wunder, dass er Ortega y Gasset von 1940 zitiert :) Mit "intellektuell sein" hat das natürlich nichts zu tun.
Intellektuell sein heißt dahin zu gehen, wo es weh tut. Sich schmutzig machen. Sich selbst verletzen. Gut, dass diese Kultur der geistreichen Attitüde versinkt. Schon versunken ist.
"Jedem, der wachen Auges durch das Internet streift" ... "gegen den störrischen, nicht restlos absorbierbaren Intellektuellen, der sich einst seines Einzelgängertums rühmen durfte und als freier Autor oder Journalist sein Auskommen fand" ... "Man geht indes fehl, den Intellektuellen als bildungshuberischen Besitzstandswahrer aufzufassen" ... "Laienkultur, die sich ihrer Unbedarftheit rühmt" ... "Der Intellektuelle wird untertauchen wie der Taucher in die Tiefe, er wird Internetrandzonen bewohnen, Foren, die nur von seinesgleichen aufgesucht werden. ... Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er verschwinden. Seine Spur ist eine, die bald schon Wellen glätten."
Ja mei. Allein, Empörung ist hier fehl am Platze (sic!). Das ist das öffentliche Sich-für-anachronistisch-Erklären des Schöngeists, bewusst und freiwillig. Aus dem Geist der Inneren Emigration. Völlig harmlos, muss man nicht ernst nehmen. Kein Wunder, dass er Ortega y Gasset von 1940 zitiert :) Mit "intellektuell sein" hat das natürlich nichts zu tun.
Intellektuell sein heißt dahin zu gehen, wo es weh tut. Sich schmutzig machen. Sich selbst verletzen. Gut, dass diese Kultur der geistreichen Attitüde versinkt. Schon versunken ist.
jurijmlotman - am Freitag, 22. Mai 2009, 21:31 - Rubrik: alte deutsche literatur
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