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jurij m. lotman (R.I.P.)
die grenzen des textes sind die grenzen der welt

 
... nachtrag zur ethnographischen moblog-expedition durch berlin bei erratika, antwortend auf die ausdrückliche nachfrage.

disclaimer: das ist keine kritik im eigentlichen sinn. ohne ein projekt wie dieses würden gedanken wie diese nie stattfinden. und das unbehagen hat seinen ausgang gerade in meiner identifikation mit diesen blog-personas: lesend empfinde ich sie sehr stark als "meinesgleichen". und: es wurde mehr als vom projekt selbst provoziert durch die lobeshymnen der antville-community darunter.

ansonsten lässt sich das unbehagen tatsächlich von den zwei spontanen formulierungen aus fassen: "sentimental journey" und "selbstausstellung des ethnographischen blicks", ergänzt vielleicht durch "linke melancholie".

das wäre interessant, wenn auch ein bisschen gemein, den gleichnamigen benjamin-aufsatz darauf zu übetragen (mit all den unterschieden, selbstverständlich): der bezieht sich ja auf die linken medianarbeiter um 1930, auf tucholsky, mehring und kästner, und auf ihr selbstverständnis als "beobachter", ihrer selbst wie der anderen. eine haltung, sagt benjamin, der keine politische aktion mehr entspricht.

wobei erratika und sofa-frank sicher nicht "kästner" sind, sondern eher benjamin selbst, der sich da ja mitmeinte. wodurch ich selbst hier in die position des brechtianers gerate ... und antville ist dann "weltbühne" ...

melancholie also. und was mich stört, ist die nicht-verletzende melancholie, die sich als ethnographie ausgibt. was ich aber (gern, mit genuss) sehe und lese ist die selbst-ethnographie meiner generation, die sich da selbstgenügsam-melancholisch zu "ethnographen" stilisiert, wo aktion, verletzung, eingriff folgen müssten. (auch erst mal nur verbal-gedanklich, natürlich.) analyse ist das gegenteil von melancholie: verletzend, wie viele durchaus wehleidig angemerkt haben. "vivisektion", sagte musil im tagebuch, und meinte nicht zuletzt sich selbst damit.

ethnographie ist schon eine metapher, die ich gern mag: aber ich schätze da weniger die sorgfältigen aufzeichnungen merkwürdiger rituale durch abtrünnige des logozentrismus, sondern die levi-strauss'sche mathematik, die mir da fehlt. so wie mit die poetologie des "genauen blicks" immer schon spontan unsympathisch war und ist. nichts gegen genauigkeit, natürlich.

aber die melancholie ist ja schon schön, wie diese texte, wie diese bilder. so schön ungefähr wie ein früher wenders-film mit zischler und vogler, der ja auch weder eine ethnographie des zonenrandgebiets noch der nach-apo-generation ist, sondern halt ein film (ein lieblingsfilm).

das problem wäre also nur da, wo sich solche melancholischen systeme als aussage über die außenwelt ausgeben und damit an die stelle von anderen, ausgeklammerten aussagen treten. denn gegen sentimentale reisen hochgescheiter und hochgeschmackvoller leute kann man ja wirklich nichts haben.

dazu passt die wiederum spontane bemerkung zu frischs tagebücher 1950 und 1971: auf anhieb kommt man ja mit der existenzphilosophischen melancholie von 1950 besser klar, aber die ist eben zuweilen auch sentimental. 1971 ist eine ungemütliche, kalte diaristische maschinerie, ein analyse-experiment, das ich um so besser fand, je mehr ich die feinheiten kapierte. (aber das tat ich zugegeben auch nicht lesend, sondern halt analysierend.)
        

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