"Es war schwülheiß, der Himmel zugezogen, und ein Vater, 46, ging mit Tochter, 10, auf dem Gehweg dahin, ganz verstrickt ins Leben, das ihm sich zugelost hatte, halb zufällig, aber natürlich auch durch paar minimale eigene Entscheidungen mitgewählt."
"Schreiben, notierte ich, ist ja Rücknahme des Gesagten, Korrektur am Gedachten, Widerspruch zu sich selbst. Man kann fast sagen: das Gegenteil zum Reden im Gespräch" ...
"Dabei ließ sich gut verfolgen, wie das fluoreszierende Element zukünftiger Möglichkeiten in schnellen Zufallsbewegungen an der Kette der Gegenwartsmomente nach der genau passenden Bindungsstelle solange suchte, bis es die richtige Stelle gefunden hatte, dort haften blieb, dadurch die von da abzweigenden Entscheidungen auslöste und so mit ihr die Folgekaskade der davon bedingten kommenden Lebensfolgen."
"Schreiben, notierte ich, ist ja Rücknahme des Gesagten, Korrektur am Gedachten, Widerspruch zu sich selbst. Man kann fast sagen: das Gegenteil zum Reden im Gespräch" ...
"Dabei ließ sich gut verfolgen, wie das fluoreszierende Element zukünftiger Möglichkeiten in schnellen Zufallsbewegungen an der Kette der Gegenwartsmomente nach der genau passenden Bindungsstelle solange suchte, bis es die richtige Stelle gefunden hatte, dort haften blieb, dadurch die von da abzweigenden Entscheidungen auslöste und so mit ihr die Folgekaskade der davon bedingten kommenden Lebensfolgen."
jurijmlotman - am Montag, 25. Juni 2007, 16:07 - Rubrik: goetzblog
... (deutsch blogge ich im moment ja nur, wenn ich goetz lese. das hier ist ja zuständig für: literatur und aging-of-pop, und goetz ist beides, und zugleich repräsentant meiner diesbezüglichen seiten. englisch blogge ich auch nicht. nur twitter, und eigentlich möchte ich jetzt endlich das fällige buch über die media-welt und die media-identität und den media-bedeutungsraum im Web 2.0-kontext schreiben. ich habe allmählich das gefühl, dass es ginge, gedanklich und schriftstellerisch.)
"Seltsam ist es immer wieder, wenn man es erlebt: die Jungheit und Neuheit jedes mitgeteilten Gedanken, auch des ältesten, wenn er nur auch wirklich gerade neu nocheinmal neu gedacht wird. ... Warum Denken lächeln macht, Traktat. ... Die Videoblogs sind eine echte Revolution. Die Leute stellen sich in einer Direktheit und Nacktheit vor einen hin, dass man erschrickt und staunt, man befindet sich ja etwa nur 20 Zentimeter weit weg von ihnen. Dagegen war Fernsehen, die alte Nacktmaschine, ein Medium höflichster Diskretion. Das Internet hat in seiner Vertrashtheit beides radikalisiert: die Bilder und die Schrift. Die Schrift will denken, die Bilder physische Präsenz vorweisen. "
"Seltsam ist es immer wieder, wenn man es erlebt: die Jungheit und Neuheit jedes mitgeteilten Gedanken, auch des ältesten, wenn er nur auch wirklich gerade neu nocheinmal neu gedacht wird. ... Warum Denken lächeln macht, Traktat. ... Die Videoblogs sind eine echte Revolution. Die Leute stellen sich in einer Direktheit und Nacktheit vor einen hin, dass man erschrickt und staunt, man befindet sich ja etwa nur 20 Zentimeter weit weg von ihnen. Dagegen war Fernsehen, die alte Nacktmaschine, ein Medium höflichster Diskretion. Das Internet hat in seiner Vertrashtheit beides radikalisiert: die Bilder und die Schrift. Die Schrift will denken, die Bilder physische Präsenz vorweisen. "
jurijmlotman - am Donnerstag, 7. Juni 2007, 22:55 - Rubrik: goetzblog
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Ein Versuch mit den "wirklich gesagten Dingen", die an sich erst jetzt sichtbar werden, abgelöst vom sprechenden Körper *und* abgelöst vom glatten weißen Papier in einem eigenartigen neuen Raum.
Abstrakter und "geschriebener" als das körperlich Gesagte. Und gesagter/körperhafter/hier&jetztiger als der papier-geschriebene text.
Foucault musste ja noch den gesprochenen Worten und den geschriebenen Sätzen Gewalt antun, sie aus dem Zusammenhang reißen, damit sie sich als "Aussagen" zu erkennen gaben, als Zeichen-Ereignisse, die eben weder die Dinge sind, die *darin* geäußert werden, noch die Menschen, die sie äußern.
Der Web-Autor, neinnein, der Web-Schreiber, nein, der Web-Sprecher, nein, der web-Mensch, neinnein, also was nun, der/die Webbie halt, oder Webberer, Weber?
Der Weber also spielt mit Aussagen, mit statement-events, mit "wirklich geäußerten Zeichen", die allerdings den Körper gelöscht haben und nur gelegentlich zitathaft wieder einführen, damit die Aussage die Materiehaftigkeit bekommt, die sie braucht.
Ein Spiel mit Geschichte auch. Eine Aussage wird hingestellt, hingemurmelt, eine andere gesellt sich dazu, seltsame Patterns und Figuren deuten sich an, lösen sich auf, verstärken sich wieder, bis die Strukturen unübersehbar werden, und dann fängt man besser was Neues an.
Andere Aussage-Spielfelder, außerhalb des Web: Das seltsame Folk-America, das Greil Marcus beschreibt, in dem seltsame Zeilen und seltsame Songs und seltsame Stimmen herumspuken. Und was mit ihnen passiert, wenn sie ins neu gebildete Schallplatten-Web geraten. (Vermutlich auch mit Popmusik-Aussagefeldern spielbar, R'n'B in den 50ern, Beat in den 60ern, schon auch Post-Punk in den End-70ern.)
Der dialektisch-paradoxe Charakter der Aussage: Zugleich einzigartig-materiell und wiederholbar-strukturell zu sein. Jede Hier&Jetzt-Aussage mit ihrem ganz besonderen Körper hat zugleich ein Phantom von sich dabei, wie ein Schatten, und diese Aussage-Schattenfigur kann abgelöst werden und sich neue Körper suchen. Die dann wiederum einerseits diesen Schatten werfen und andererseits einen zweiten, eigenen, der wiederum abgelöst, usw.
Abstrakter und "geschriebener" als das körperlich Gesagte. Und gesagter/körperhafter/hier&jetztiger als der papier-geschriebene text.
Foucault musste ja noch den gesprochenen Worten und den geschriebenen Sätzen Gewalt antun, sie aus dem Zusammenhang reißen, damit sie sich als "Aussagen" zu erkennen gaben, als Zeichen-Ereignisse, die eben weder die Dinge sind, die *darin* geäußert werden, noch die Menschen, die sie äußern.
Der Web-
Der Weber also spielt mit Aussagen, mit statement-events, mit "wirklich geäußerten Zeichen", die allerdings den Körper gelöscht haben und nur gelegentlich zitathaft wieder einführen, damit die Aussage die Materiehaftigkeit bekommt, die sie braucht.
Ein Spiel mit Geschichte auch. Eine Aussage wird hingestellt, hingemurmelt, eine andere gesellt sich dazu, seltsame Patterns und Figuren deuten sich an, lösen sich auf, verstärken sich wieder, bis die Strukturen unübersehbar werden, und dann fängt man besser was Neues an.
Andere Aussage-Spielfelder, außerhalb des Web: Das seltsame Folk-America, das Greil Marcus beschreibt, in dem seltsame Zeilen und seltsame Songs und seltsame Stimmen herumspuken. Und was mit ihnen passiert, wenn sie ins neu gebildete Schallplatten-Web geraten. (Vermutlich auch mit Popmusik-Aussagefeldern spielbar, R'n'B in den 50ern, Beat in den 60ern, schon auch Post-Punk in den End-70ern.)
Der dialektisch-paradoxe Charakter der Aussage: Zugleich einzigartig-materiell und wiederholbar-strukturell zu sein. Jede Hier&Jetzt-Aussage mit ihrem ganz besonderen Körper hat zugleich ein Phantom von sich dabei, wie ein Schatten, und diese Aussage-Schattenfigur kann abgelöst werden und sich neue Körper suchen. Die dann wiederum einerseits diesen Schatten werfen und andererseits einen zweiten, eigenen, der wiederum abgelöst, usw.
jurijmlotman - am Sonntag, 20. Mai 2007, 01:17 - Rubrik: Theorie oder Wahnsinn (ist eh dasselbe)
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"Nichts ist so interessant wie die gestrige Zeitung, im Gegensatz zum bekannten Diktum, und das Gestern kann sein das von vorgestern, von vor zwei Jahren, zwei Monaten, vier Wochen oder mehreren Jahren. Drüben im Büro lagern noch ganze Kartons von den Berliner Seiten der Faz, sie fungieren da als Kommode im Gang, werden irgendwann aussortiert und gesichtet werden. Dabei ist das Interesse völlig unnostalgisch, es geht um die geistige Struktur von Aktualität, in Interferenz von öffentlicher Kommunikation und individuellem Bewusstsein."
wobei mir auffällt, dass mein metier seit jeher eher das geisterhaft "gedruckte Wort" war und ist, dass ich mit dem endgültig gedruckten Schwarz-auf-papier noch nie eine besondere faszination verband, dass meine art der textanalyse immer eine verflüssigung des gedruckten beinhaltete, dass also das digitale Skywriting in den lichtraum mir von anfang an entsprach. weshalb ich auch keine spuren hinterlassen werde. weshalb mich die gedruckte medien-szene eigentlich gar nicht mehr innerlich bewegt. als ob die kraft aus diesen medien gewichen sei.
wobei mir auffällt, dass mein metier seit jeher eher das geisterhaft "gedruckte Wort" war und ist, dass ich mit dem endgültig gedruckten Schwarz-auf-papier noch nie eine besondere faszination verband, dass meine art der textanalyse immer eine verflüssigung des gedruckten beinhaltete, dass also das digitale Skywriting in den lichtraum mir von anfang an entsprach. weshalb ich auch keine spuren hinterlassen werde. weshalb mich die gedruckte medien-szene eigentlich gar nicht mehr innerlich bewegt. als ob die kraft aus diesen medien gewichen sei.
jurijmlotman - am Montag, 14. Mai 2007, 10:27 - Rubrik: goetzblog
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"In vielen Blogs wird jetzt die grundlegende Erfahrung des Schreibens gemacht, dass das vom eigenen Erleben berichtende Schreiben solange gut geht und gut klingt, welteröffnend und erfahrungsbildend wirkt, solange die Ichfigur sich selbst und ihrem Berichten gegenüber eher blind bleiben kann. Resonanz, Reaktionen, Kommentare stören diese Selbstunsichtbarkeit, zerstören das Automatische, das selig Textmaschinenhafte, das das Schreiben anfangs haben kann."
glaub ich nicht recht. blogs, wie ich sie kenne, sind eher nicht selbstvergessen, und bestehen ja eben nicht einfach aus "vom eigenen Erleben berichtenden Schreiben". auch bei den normalos sind das eher ziemlich auto-reflexive "selbst"-konstruktionsmaschinen, und zwar erstaunlich selten im blöden sinn von posing.
das resultierende selbst ist eigentlich immer irgendwie interessant, weil eben halb-bewusst aus text gebaut: relativ abstrakt und stark elliptisch. eine halb-bewusstheit, würde ich sagen, ist überhaupt das, worauf dieses schreiben zielt. aber eine, die sich selbst genügt und weder zurück ins nicht-bewusste will noch vorwärts ins bewusste.
der rest stimmt natürlich auf klassikerhaft-zeitlose weise:
"Beim Plappern und Schnattern muss der Text bleiben und trotzdem die Last seiner selbst, des Geschriebenseins fühlen und benützen, fürs Weiterdenken ausbeuten können. So eingesetzt treibt Text das Erlebte über das Gewusste hinaus, dieser Surplus wird beim Schreiben als Glücksgefühl spürbar, später auch dem Leser. Springt der Text nicht auf diese Art um in etwas Neues, vor dem Schreiben noch nicht Gewusstes, so nicht Geplantes oder Gedachtes, bleibt er stumpf. Text ist ein experimentelles, entdeckerisches Instrument, von geburts wegen jung und heldisch aufgelegt, eine siebenfach tertiäre Naivität sei der Raum seiner Glücke, die Hut ihrer -"
ja und amen. dass mich das glücklich macht, so etwas zu lesen, zeigt, dass ich meine literatur-vergangenheit nicht überwunden habe. ich kann nur eben nichts mehr konstruktives mit ihr anfangen in dieser punktlosen scheißkultur, in der zu leben ich verdammt bin. was macht eigentlich praschl, by the way? ich habe mir sein relaunchtes matador-sexheft immer noch nicht gekauft, wollte das aber ja unbedingt tun. morgen am freisinger bahnhof.
glaub ich nicht recht. blogs, wie ich sie kenne, sind eher nicht selbstvergessen, und bestehen ja eben nicht einfach aus "vom eigenen Erleben berichtenden Schreiben". auch bei den normalos sind das eher ziemlich auto-reflexive "selbst"-konstruktionsmaschinen, und zwar erstaunlich selten im blöden sinn von posing.
das resultierende selbst ist eigentlich immer irgendwie interessant, weil eben halb-bewusst aus text gebaut: relativ abstrakt und stark elliptisch. eine halb-bewusstheit, würde ich sagen, ist überhaupt das, worauf dieses schreiben zielt. aber eine, die sich selbst genügt und weder zurück ins nicht-bewusste will noch vorwärts ins bewusste.
der rest stimmt natürlich auf klassikerhaft-zeitlose weise:
"Beim Plappern und Schnattern muss der Text bleiben und trotzdem die Last seiner selbst, des Geschriebenseins fühlen und benützen, fürs Weiterdenken ausbeuten können. So eingesetzt treibt Text das Erlebte über das Gewusste hinaus, dieser Surplus wird beim Schreiben als Glücksgefühl spürbar, später auch dem Leser. Springt der Text nicht auf diese Art um in etwas Neues, vor dem Schreiben noch nicht Gewusstes, so nicht Geplantes oder Gedachtes, bleibt er stumpf. Text ist ein experimentelles, entdeckerisches Instrument, von geburts wegen jung und heldisch aufgelegt, eine siebenfach tertiäre Naivität sei der Raum seiner Glücke, die Hut ihrer -"
ja und amen. dass mich das glücklich macht, so etwas zu lesen, zeigt, dass ich meine literatur-vergangenheit nicht überwunden habe. ich kann nur eben nichts mehr konstruktives mit ihr anfangen in dieser punktlosen scheißkultur, in der zu leben ich verdammt bin. was macht eigentlich praschl, by the way? ich habe mir sein relaunchtes matador-sexheft immer noch nicht gekauft, wollte das aber ja unbedingt tun. morgen am freisinger bahnhof.
jurijmlotman - am Sonntag, 22. April 2007, 22:08 - Rubrik: goetzblog
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Der Text "sollte so bewusstlos, ichstark und zugleich quasi autorschaftsfrei sein, wie das im Geschehen sich verlierende Auftreten des angenehmen, ungeduckten, uneitlen Menschen dort [im Nachtleben]."
thema text-aus-welt woanders fortgesetzt. Hier eben nachtleben statt reise-passantentum. (meine erinnerungen ans münchner nachtleben seinerzeit geben das ja nicht recht her: solche subkultur-sozialen glücksmomente entstanden für mich immer nur in verbindung mit und am rand von ästhetischen ereignissen, d.h. live-musik.)
in jedem fall muss aber "primärer" organischer brennstoff in die sekundäre textmaschine, die nur dann funktioniert, wenn die spannung primär/sekundär in keine richtung aufgelöst ist. (lotman himself erklärt so die semiosphere.) in wahrheit ist ja das text-bedürfnis primär, wie ich schon damals bei den anitsemitismus-studien gefunden habe.
merke gerade, dass ich genau deshalb nicht schreiben kann: weil ich das primäre immer schon überspringe, dass als widerstand und rohstoff notwendig ist. so wie man für einen gescheiten roman sinnlos recherchieren muss: delillo usw.
thema text-aus-welt woanders fortgesetzt. Hier eben nachtleben statt reise-passantentum. (meine erinnerungen ans münchner nachtleben seinerzeit geben das ja nicht recht her: solche subkultur-sozialen glücksmomente entstanden für mich immer nur in verbindung mit und am rand von ästhetischen ereignissen, d.h. live-musik.)
in jedem fall muss aber "primärer" organischer brennstoff in die sekundäre textmaschine, die nur dann funktioniert, wenn die spannung primär/sekundär in keine richtung aufgelöst ist. (lotman himself erklärt so die semiosphere.) in wahrheit ist ja das text-bedürfnis primär, wie ich schon damals bei den anitsemitismus-studien gefunden habe.
merke gerade, dass ich genau deshalb nicht schreiben kann: weil ich das primäre immer schon überspringe, dass als widerstand und rohstoff notwendig ist. so wie man für einen gescheiten roman sinnlos recherchieren muss: delillo usw.
jurijmlotman - am Sonntag, 22. April 2007, 21:55 - Rubrik: goetzblog
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