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jurij m. lotman (R.I.P.)
die grenzen des textes sind die grenzen der welt

 

neue deutsche literatur

gut, das ist ja eigentlich ein beitrag, den ich hier verlinken soll:

der audiovisuell getextete rechenschaftsbericht zu meiner abwesenheit von der blogospäre hier, weil ich ja in twitterhausen lebe seit ein paar monaten. "twitter machine" als wmv-video, 6:30 min und 15 oder so MB. (sorry.)

zugleich mein beitrag zur bloglesung mit Fm4-Blumenau in Hall in Tirol.
einerseits ist die form eigentlich viel besser als vorzulesen, anderererseits natürlich schade, dass ich nicht über Woody Guthrie, die Anthology of American Folkmusic und die Blogosphäre/Semiosphäre reden konnte.

... ist ja, dass ich literatur eigentlich nicht besonders mag. ich kann meistens wenig damit anfangen, als leser jetzt. ich habe auch einfach keine ader für bestimmte ästhetische werte, wie farbenblind. und ich mag die leute nicht besonders, die literatur mögen. ich mag eine idee von "literatur", ich mag die radikalen existenz-experimente, die das leben auf text stellen, weil es offenbar bei mir auf komische weise auch so ist. weil das sekundäre immer zuerst kommt, seit jeher. was den wechsel von literatur/universität in das studium des web ("Welt, Wahrheit, text-induzierte Kicks") recht folgerichtig erscheinen lässt.

... der mahnung folgend, begünstigt von heuschnupfen-nacht:

zuerst immer: der widerwille gegen so kunststückerln. so wie bei Passig, letztes jahr. kunst kommt nicht von kunststückerl. und sprachspiel-literatur, jetzt nicht im Wittgenstein-sinn verstanden, mag ich auch nicht. wie ich ja auch lustig gemeintes nicht mag, und ironie nur dann, wenn sie richtig schmerzhaft selbstquälerisch ist, nicht spielerisch selbstquälerisch. wobei natürlich die üblichen Klagenfurt-kunststückerln noch viel viel schlimmer sind.

erinnert dann erst mal irgendwie [sic] an, natürlich, Thomas Bernhard. was mich zu der alten frage bringt, was genau jetzt eigentlich das gute daran ist, das ich ja auch nie so recht verstanden habe, bei grundsätzlicher achtung. (die textmaschine, offenbar, sagte ich mir später.) ich erinnere mich, dass damals Meinecke auf eine (meine) jugendlich unbedarfte Bernhard-rezension hin, in einer selbstgemachten Münchner lifestyle-illustrierten, von Gisela Oswald herausgegeben, die dann im Münchner lokal-TV die boulevard-bürgerfragen-talk-tante wurde, in der der junge Georg Oswald, ihr bruder, seine laufbahn begann (der war noch nicht in Klagenfurt, oder?), dessen erste gedruckte verbohrt-juristischen münchner geschichten ich dann bei einer sehr viel späteren lesung einmal sehr gut fand. dass also Meinecke Bernhard gut fand, was nachträglich angesichts seiner eigenen erfolgstexte schon einleuchtet, bei denen ich im übrigen auch nie ganz genau weiß, wie sehr ich das mag, bei grundsätzlicher achtung. wie auch die musik von FSK. (wie ist eigentlich "sonnendeck"? gibts das als mp3?)

dann erinnert mich das ein wenig an Kafka, die spiralen. was natürlich immer zuungunsten eines textes ausgeht, denn Kafka ist ja nun aus jetzt wirklich ganz schwer erklärbaren gründen richtig gut, wie ich erst kürzlich anhand des großartigen Nomaden-kunststückerl-textes (#)wieder entwaffnet feststellte. aber wenn ich PeterLicht wäre, würde ich mich schon fragen, was an Kafkas kurzen texten jetzt eigentlich genau so gut ist.

(nun widerwille gegen das eigene, eigentlich völlig unbeabsichtige kunststückerl-metatexterl schreiben, ich wollte nur notizen machen, aber al fresco, beschließe ich, ist das ok. wie immer die uncoole entschuldigung in den text einschließend, weil cool wäre es einfach hinzustellen, was ich nicht kann, weshalb ich da auch nie wirklich gut war.)

schon auch an Goetz erinnernd, ganz ehrlich gesagt auch die eigenen natürlich weniger brillanten frühen versuche, was die spiralenhaft selbstgesprächige text-maschine angeht. ein wenig mehr Stuckrad-Barre, wenn ich mich jetzt recht daran erinnere: die werbetexterhafte art, in der die sprache zu gebote steht. in diesem fall aber besser als stuckrad-barre, weil das überbordende werbertexterhafte zu gebote stehen der sprache ja zugleich textinhalt ist.

sollte ich eigentlich vergleichen mit Richard Ford, dessen langtexte, insbesondere Der Sportreporter, großartig sind. bei Ford ist da auch so etwas angenehm menschenfreundliches in der eigentlich natürlich depressiven textmaschine, was mich noch weiter zurückerinnert an Ford Maddox Ford, Die allertraurigste Geschichte, ein text den ich nun wirklich (und völlig überraschend) groß fand seinerzeit. vielleicht sollte PeterLicht den auch noch lesen.

(aber nur die Romane, und nicht, oder weitaus weniger die Hemingway-isierenden und Carver-isierenden Short Stories von Richard Ford über pubertierende Jugendliche aus Scheidungsfamilien bei der Entenjagd.)

erinnert mich schon auch an Martin Fritz, den ich mir wieder recht gut in Klagenfurt vorstellen kann, als fortsetzer der Goetz-Passig-Licht-linie. wo ja, für mich, auch immer die frage offen war, wie man das selbstverletzende unperfekte element der diaristischen textmaschine in ein künstlich hergestelltes stück hinüberretten kann. oder ob das überhaupt geht. was ja auch die kernfrage bei Goetz ist, schon in den frühen Spex-texten, von denen mindestens einer, erinnere ich mich dunkel, sehr gut war, und großartig außer kraft gesetzt, korrekter weise nicht beantwortet, in Abfall für Alle. was zu Klage zurückführt, was ja auch eine zum teil recht merkwürdige textmaschine ist, die aber gelegentlich richtig gute stücke erzeugt, was ja eigentlich genau das ist worum es geht. das wäre natürlich schön: Goetz, 24 Jahre später, in Klagenfurt aus Klage lesend, und am ende dann preisträger.

(wobei mich die meisten Goetz-texte dazwischen, also nach 1986 und vor 1999, eher kalt gelassen haben, bei grundsätzlicher achtung.)

so. jetzt muss ich noch den rest vom Licht-text lesen.

Big Sinn, Rainald Goetz, on YouTube. aber seine Stimme klingt so merkwürdig jung, und ich war doch noch 7 jahre jünger damals. text-stimmen sollten eigentlich nicht so jung klingen, einerseits.

Die Klage dazu hier.

damals ein riesen-abstand zum punk-veteranen und einzig ernstzunehmendem generations-schriftsteller. heute klingt das so, wie damals die eigene viel zu junge, vielzu unsouveräne stimme in meinem kopf damals. hätte ich sein können, sozusagen, im rückblick. aging of pop.

camp catatonia, sehr schön über diesjähriges klagenfurt bzw. über literatur an und für sich. PeterLicht (den ich sehr wahrscheinlich nicht mögen würde) so charakterisierend, dass man den text, in unkenntnis seiner, dafür doch mag. das ist schon ein motiv für literatur:

"Das in Schleifen reproduzierte und immer weiter vertiefte Reden davon, dass es einem vielleicht doch schlecht geht, ohne dass aber Erkenntnis davon entstünde. Man kann von sich selbst wissen, dass es einem schlecht geht, man kann auch wissen, dass sich die Welt zerstört, und weiß es trotzdem alles nicht. ... Das ist eine Erzählung, und sie trifft mehr von der Welt, in der ich lebe, als viele andere.

wobei ich gerade handke als hörbuch höre, tagebuchnotizen "gestern unterwegs" im auto. überraschenderweise großartig für mich. jahrelange kreuz- und querreisen durch die welt und die text-ernte.

wozu die welt eigentlich da ist, die dem text notwendig voraus geht, aber gar nicht zählt am ende. nur ohne geht es eben nicht: sie hält das in gang. (philosophische grundeinsicht?)

wie dann aus solchem text gesprochen etwas anderes wird. secondary literacy. wenn man twitter text2speech ins autoradio spielen lassen könnte.

daneben die andere CD mit altersstimme, bryan ferry's dylanesque. das alter tut ihm gut, und das dylan-material auch. leider schlechte musik. dieser merkwürdige allgegenwärtige geschmacks post-rock, x spuren, pathetische gitarrensounds allüberall, komplett belanglos. aber insgesamt sehr interessant.

brachte mich wieder dazu, endlich, dylan neu zu hören. dessen altersstimme ich nicht mag. aber bis 1991 ungefähr, und schon gleich als ultrajunger folkie, ist da dieses existentielle intensive etwas in der stimme, das sofort tief einschneidet. ich kenne nichts ähnliches. eine völlig andere liga.

Ralf Schulte, Das Wirklichkeitswerk. Selbst-Verteidigung, Sprachlabor, Ego-Shooting – Tagebuch. In: Kultur & Gespenster 3, Thema: "Wirklich wahr", Januar 2007.

(soll meine habil zitieren, dabei habe ich das ja nie publiziert, weil es teuer und ich sauer war. nur hochgeladen. jetzt müsste ich dafür aber eigentlich den digitalen aufsatz kriegen. K&G sieht interessant aus, by the way. kostet 12 €)

... literatur, böttiger, von 2004. (#)

... anlässlich der überlegungen zum bei mir innerlich emergierenden goetz-stalker-und-paparazzi-fantum: bloggen heißt ja überhaupt peinlichkeit billigend in kauf nehmen, im dienst der welterkenntnis und selbstobjektivierung.
(metablog-eintrag #1347: peinlich.)

so habe ich seinerzeit übrigens auch "singen in einer band" empfunden.
trost war hier immer mein held Kevin Rowland. oder eben Goetz.

rowland_mybeauty

gute platte, übrigens.

Brinkmann will die Frage, wie Schreiben und Leben zusammenhängen, immer neu aufsprengen und zur Explosion bringen, wie es immer wieder in dem Tagebuch heißt, das ja das „Gefühl für einen Aufstand“ erkunden will. Er will die erstarrten Lebenszusammenhänge aufsprengen, er will die starre Schriftsprache aufsprengen und er will vor allem alle konventionellen (auch die konventionell ‚avantgardistischen’) Beziehungen zwischen ‚Leben’ und ‚Schreiben’ aufsprengen. Aus diesen Sprengungen gewinnt er dann neue Energie, die sein Schreiben weiter antreibt, und so fort.

Diese Beschreibung der Brinkmannschen Texte als Kraftwerk ist keine feuilletonistische Verzierung, die von außen an sie herangetragen wurde. Brinkmann entwickelt diese für ihn zentrale Metaphorik selbst. Die bewußte „Schnitt“-Technik soll eben verhindern, dass die in der alltäglichen Erfahrung kollidierenden Wirlichkeitselemente einfach nur ausbrennen wie ineinandergefahrene Autos. Sie soll die „Wirklichkeit hochgehen“ lassen:

Wörter sind Projektionen! Sie müssen explodieren! (1987: 24)

Die zerlegten Augenblicke und die zertrümmerten Sätze und Bedeutungen entbinden die Energie, die in ihnen steckt. Es geht darum, „Energien zu befreien und für sich in der Gegenwart nutzbar zu machen“ (1979: 447). Das Modell dieses Prozesses ist die Atomenergie:

Einzelne Bilder prallen in mir aufeinander, wie Atome, und dann lösen sie ganze Ketten von aufflammenden Bildern aus (1987: 259)

Und diese Energiegewinnung funktioniert in doppelter Richtung: Aus dem Schreiben werden Energien für das Leben gewonnen, aus dem Gehen durch die Wirklichkeit Energien für das Schreiben. Analog zu einer „Kette explodierender Augenblicke“ (124) im Bewußtsein entsteht so der Text als eine Kette explodierender Wörter.

Das Resultat der explosiven ‚Schnitt’-Technik ist also so etwas wie ein atomar angetriebener Film. Es ist kein Zufall, dass Brinkmann von Allen Barons Blast of Explosion schwärmt, einem bösen, kalten Film, dessen Protagonist ein absolut einsamer Profi-Killer ist. Mit diesem Film verbindet sich die Erinnerung an

: Stunden an intensivem Alleinsein/: Stunden intensiver, reißender Blicke (1987: 227)

Folgerichtig wird erwogen, den erträumten Roman wie einen Film zu aufzubauen:

Einfall zur Technik des Romans: exakt nach Filmtechniken arbeiten, mit Rückblende, Überblendung, Szeneneinfärbung, Schnitte, Gegenschnitte, Ton gemischt, ausgefilterten Geräuschen, Gesamtszenen und Details, Schwenks, Rundschwenks usw. (261)

Tatsächlich ist aber der eigentliche „Film in Worten“, den Brinkmann ja schon 1969 im Nachwort zu ACID forderte, nicht ein Roman, sondern der Tagebuchtext selbst: ein dokumentarisches Road Movie, orientiert am Western, denn „Gegenwart ist Wild-West-Bewußtsein“ (208). Nicht zufällig verfolgen dieses Ideal zur selben Zeit auch Handke und Wenders, wenn auch ein Brinkmann-Film natürlich sehr viel greller und aggressiver ausgefallen wäre als Der kurze Brief zum langen Abschied und Im Lauf der Zeit.

Schreiben ist wie Filmen, das trifft Brinkmanns eigentliche Intentionen am besten: Die Wirklichkeit ist ein Sex- und Horror-Film, dem man hilflos ausgesetzt ist, wenn man nicht hinausgeht und das fremde Material zum Material seines eigenen Films umfunktioniert. Man sammelt in der Wirklichkeit draußen auf einer Bild- und einer Tonspur dokumentarisches Material, man schneidet es auseinander- und anders wieder zuammen, man sucht einen eigenen Rhythmus, um die „Kette aus einzelnen Blitzlichtfotos“ (145) in dynamische Bewegung bringen - und am Ende steht dann der fertige eigene Film, den man immer wieder selbst ansieht, bis das Bewußtsein ganz ausgefüllt ist von den eigenen Bildern und ganz im eigenen Rhythmus schwingt.

        

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